Die Bedeutung von ESG-Aspekten für die Unternehmensstrategie und -berichterstattung nimmt kontinuierlich zu. Im Jahr 2022 hat sich die Entwicklung nochmals beschleunigt – dabei markieren die nachhaltigkeitsbezogenen Ergänzungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, die Berichterstattung nach der EU-Taxonomieverordnung, das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz und die Verabschiedung der CSRD zur Reform der nichtfinanziellen Berichterstattung in der EU nur einige Wegpunkte in der Transformation hin zu einer ESG-zentrierten Ausrichtung zahlreicher Unternehmen und ganzer Branchen.
Ein weiterer, insbesondere in Bezug auf Hauptversammlungen vermehrt diskutierter Aspekt, ist die international bereits etablierte Ergänzung der HV-Tagesordnung um sogenannte „Say on Climate“-Beschlüsse.
Mit „Say on Climate“-Beschlüssen wollen Investoren, Asset-Manager und Stimmrechtsberater das Management börsennotierter Unternehmen einerseits zur aktiven Umsetzung von Klimaschutzaktivitäten anhalten, andererseits jedoch auch bereits in Gang gesetzte Strategien kritischer hinterfragen. Um dies zu erreichen, haben führende Investoren bereits im Sommer 2021 das „Investor Position Statement – A call for Corporate Net Zero Transition Plans“ veröffentlicht, während auch an anderer Stelle weitere Positionspapiere, wie etwa der Global Standard on Corporate Climate Lobbying von AP7, das BNP Paribas Asset Management sowie CEPB publik gemacht wurden. Gemein ist den Initiativen, dass die Unternehmensleitungen börsennotierter Unternehmen – ähnlich der Vorlage von Vergütungsberichten und Vergütungssystemen bei „Say on Pay“-Beschlüssen oder der Aufstellung von Diversitäts-Zielgrößenfestlegungen – präzise Pläne arbeiten sollen, in denen sie zu kurz-, mittel- und langfristigen Zielen der eigenen klimaschädlichen Emissionen einschließlich des avisierten Zeitrahmens, der notwendigen Maßnahmen und damit einhergehenden Kosten (Climate Action Transition Plan) Stellung nehmen. Bei wiederkehrenden Beschlussfassungen soll dann über den Stand der Umsetzung und Plananpassungen berichtet werden. Die Aktionäre können im Rahmen einer unverbindlichen Beschlussfassung, ähnlich wiederum den bereits im deutschen Aktiengesetz verankerten „Say on Pay“-Beschlüssen, hierzu Position beziehen und ihre (Miss-)Billigung ausdrücken.
Bereits 2021 standen entsprechende Beschlüsse bei den Hauptversammlungen von namhaften internationalen Unternehmensgruppen, beispielsweise bei Nestlé, HSBC, Unilever, Royal Dutch Shell oder TotalEnergies, auf der Tagesordnung. Der Trend setzte sich international fort, sodass die Zahl von Beschlussfassungen allein in UK von 10 (im Jahr 2021) auf 20 Beschlussfassungen (im Jahr 2022) stieg. Wurden drei dieser Beschlussfassungen von den Aktionären gefordert, so wurden 17 Tagesordnungspunkte/Beschlussvorschläge von den Managementboards der betroffenen Unternehmen vorgelegt. Während alle von den Boards vorgelegten Beschlüsse angenommen wurden, fand keiner der von den Aktionären vorgelegten Beschlüsse seine Billigung. Für 2022 wird erwartet, dass die Zahl der Billigungsbeschlüsse international – u. a. in UK – weiter steigt. In diesem Kontext hatte auch die Institutional Shareholder Services Inc. (ISS) bereits im September 2022 einen Report unter dem Titel „The Rise of Say on Climate Proposals“ publiziert.
In Deutschland agieren die Verwaltungen börsennotierter Gesellschaften bislang sehr zurückhaltend bei der entsprechenden Ergänzung der Tagesordnungen. So wurde etwa im Vorfeld zur Hauptversammlung 2022 der Volkswagen AG von einer seitens des „Church of England Pension Board“ angeführten Investorengruppe ein Ergänzungsverlangen zu einer „Say on Climate“-Beschlussfassung eingereicht, welches allerdings von der Gesellschaft zurückgewiesen wurde. Im Ergebnis wurde das Ergänzungsverlangen gleichwohl zurückgewiesen, da es gesetzlich nicht vorgesehen sei und in unzulässiger Weise in die Leitungsautonomie des Vorstands eingreife. Gegen die Nichtzulassung wurde sodann von mehreren institutionellen Investoren eine Klage eingereicht – mit dem Ziel, eine entsprechende Berichtspflicht in der VW-Satzung zu verankern.
Aktienrechtlich kann nach derzeitig überwiegender Ansicht in Deutschland eine solche Beschlussfassung nicht von Aktionären erzwungen werden. Lediglich wenn der Vorstand selbst einen solchen Bericht zur Billigung der Hauptversammlung vorlegt, muss dieser vertieft behandelt werden. Hier werden große Skepsis und Vorsicht seitens der betroffenen Unternehmensleitungen sichtbar. Indessen wurde von der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung 2022 bereits in einer Stellungnahme an die Regierungskommission vorgeschlagen, eine Anregung in den DCGK aufzunehmen, wonach der Vorstand seinen Plan zum Umgang mit klimaschädlichen Emissionen und deren Reduktion jedenfalls dann der Hauptversammlung vorlegen sollte, wenn Aktionäre dies verlangen, deren Anteil 5 % des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag am Grundkapital von 500.000,00 EUR erreichen.
Abzuwarten bleibt, ob der deutsche und/oder europäische Gesetzgeber die internationalen Bemühungen aufgreifen und eine gesetzliche Pflicht zur Aufnahme von „Say on Climate“ Beschlüssen auf die Tagesordnung börsennotierter Unternehmen implementieren wird.
Als weiterer Aspekt tritt hinzu, dass mit der CSRD die ESG-Berichtspflichten großer, insbesondere börsennotierter Unternehmen inhaltlich und im Hinblick auf eine einheitliche Struktur ohnehin in den kommenden Jahren zunehmen und diese Berichte auch extern zu prüfen sein werden.
Wie schon die im deutschen Aktienrecht bereits bekannten „Say on Pay“-Beschlussfassungen zur Billigung von Vergütungsberichten und Vergütungssystemen, entfalten auch „Say on Climate“-Beschlüsse keine Bindungswirkung für den Vorstand. Daraus folgt, dass dieser auch im Falle einer Missbilligung nicht zu einer Anpassung der von ihm geplanten Maßnahmen und Ziele verpflichtet ist.
Allerdings sind auch solche Beschlüsse keine gänzlich „zahnlosen Tiger“. Aufgrund der Bedeutung von ESG-Themen kann die Missbilligung mittelbaren Einfluss erlangen und sich auf die Reputation der Unternehmensführung auswirken. So wird etwa bei ablehnenden Beschlüsse mit entsprechend negativer Medienresonanz zu rechnen sein sowie ein ernsthaftes Risiko entstehen, dass für unzureichend befundene Maßnahmen auch in Bezug auf Sustainable-Investments spürbar abgestraft werden. In diesem Sinne haben auch einzelne prominente, internationale Investoren bereits angekündigt, in UK künftig gegen die Verwaltungsvorschläge von Unternehmen zu stimmen, die keine Net-Zero-Ziele veröffentlichen oder keine eindeutige Strategie zur Unternehmenstransformation zugunsten von Klima- oder Diversitätsaspekten nachweisen können.
Zudem erkennt man seitens der Aktionäre eine inhaltliche Verknüpfung unterschiedlicher Sachaspekte bei den Beschlussfassungen, sodass eine Missbilligung bei „Say on Climate“-Beschlüssen mindestens implizit auf die grundlegende Entscheidung bei Entlastungsbeschlüssen ausstrahlen kann. Ebenfalls denkbar ist eine Verknüpfung mit sog. „Say on Pay“-Beschlüssen dergestalt, dass hier eine stärkere Ausrichtung der Vergütung auf nachhaltigkeits- und klimabezogene Aspekte gefordert bzw. spiegelbildlich ein nicht ausreichend elaboriertes System im Rahmen der Beschlussfassung nicht gebilligt wird.
Auch im Jahr 2023 und darüber hinaus dürften Initiativen zur „Say on Climate“-Beschlussfassung ein zentrales Thema der Unternehmensstrategie und der mit ihr verbundenen Berichterstattung sein – dies gilt selbst dann, wenn diese Initiativen aufgrund der aktienrechtlichen Vorgaben im internationalen Umfeld zunächst zurückhaltend ausfallen. Als sicher kann gelten, dass sich der Trend von „Say on Climate”-Beschlüssen weiter fortsetzen und eher früher als später auch auf deutsche Hauptversammlungen einwirken wird.
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