Die „verloren gegangene“ E-Mail im Geschäftsverkehr – eine Ausrede mit Ablaufdatum?

Auch in der unternehmerischen Praxis ist inzwischen bekannt, dass sich durch reguläre E-Mail-Empfangsprotokolle (analog dem Faxprotokoll) Zusendung und Zugang von Erklärungen im Handelsverkehr nicht nachweisen lassen – und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) derartigen Protokollen keine Beweiskraft zuerkennt.

 

Viele Unternehmen verlassen sich daher darauf, dass es der gegnerischen Partei im Streitfall nicht gelingen wird, den Zugang von E-Mails nachzuweisen – beziehungsweise der Verweis auf etwaige Spamfilter oder andere Gründe der Nichtzurkenntnisnahme zur Verteidigung genügt.

 

Seit Kurzem ist hier jedoch Vorsicht geboten!

So hat jüngst die Rechtsprechung entschieden, dass der Zugang einer Abmahnung per E-Mail wirksam ist, wenn die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem bereitstehenden Mailserver des Empfängers zur Verfügung gestellt ist und sich diese im originalen Textteil der E-Mail und nicht nur im Anhang befunden hat. Behauptet der E-Mail-Empfänger sodann, die fragliche E-Mail nie erhalten zu haben oder begründet er den Verlust der E-Mail mit der Firewall oder etwaigen Spam-Einstellungen, so trifft ihn die Beweislast! Das hat das LG Offenbach mit Urteil vom 21.04.2023 (5 O 2/23) entschieden.

 

 

Folgender Sachverhalt liegt dem Urteil zugrunde:

 

Streitgegenstand ist die Kostenübernahme eines wettbewerbsrechtlichen Verfahrens. Die Antragsgegnerin vertrieb ein Nahrungsergänzungsmittel unter Verwendung von gesundheitsbezogener Werbeaussagen ohne hinreichende wissenschaftliche Tatsachengrundlagen. Die Antragstellerin, ein eingetragener Verein, welcher sich mit Fragen und Informationen zum lauteren Wettbewerb beschäftigt, forderte am 30.01.2023 – um 11:06 Uhr via E-Mail – zur Unterlassung der Verwendung von Werbeaussagen mit medizinischem Bezug auf und setzte dazu eine Frist von neun Tagen. Die Abmahnung versandte die Antragstellerin am gleichen Tag sowohl per E-Mail als auch postalisch. Wichtig hier: Die Abmahnung befand sich – der Rechtsverkehrssicherheit dienend (vgl. Auffassung OLG Hamm, Urteil vom 09.03.2022, NJW 2022, 1780) – im Textteil der E-Mail und nicht in einem beigefügten Anhang.

 

Da auch nach Verstreichen der Frist die Abgabe der geforderten Unterlassungserklärung sowie sonstige Reaktionen ausblieben, entschied sich der Verein dazu, am 13.02.2023 beim Landgericht Offenburg die Verpflichtung zur Unterlassung mittels einer einstweiligen Verfügung zu beantragen. Erst daraufhin hat sich die Antragsgegnerin dem Antrag gefügt, die Werbeaussagen mit medizinischem Bezug entfernt und am 21.02.2023 eine Unterlassungserklärung eingereicht.

 

Doch diese späte Reaktion erfolgte erst nach Eröffnung des Verfahrens, sodass bereits streitige Kosten entstanden waren. Entscheidend ist hier der Zugang der Abmahnung und ob die Antragsgegnerin die Möglichkeit hatte, einem gerichtlichen Verfahren – und den mit diesem verbundenen Kosten – aus dem Weg zu gehen.

 

Die Antragsgegnerin behauptet dabei – offensichtlich auf die bisherige Rechtsprechung vertrauend – sie habe auf die Abmahnung innerhalb der Frist nicht reagiert, da ihr die E-Mail zur Aufforderung einer Unterlassungserklärung nie zugegangen sei. Vielmehr sei die E-Mail entweder im Spam-Ordner gelandet oder anderweitig verloren gegangen, da der elektronische Nachrichtenverkehr aufgrund von internen Umstrukturierungen nicht wie gewohnt nachverfolgt werden konnte.

 

Es kommt nun also darauf an, ob man dennoch von einem Zugang der E-Mail – den die Antragsgegnerin bestritt – ausgehen konnte. Dazu entschied das Gericht, auch in Anlehnung an die Entscheidung des BGH, dass der Zugang bereits dann erfolgt, wenn die E-Mail innerhalb üblicher Geschäftszeiten auf dem Server des Empfängers, also in seinem Machtbereich, abrufbereit zur Verfügung steht. Es gilt ferner: Die Veröffentlichung einer geschäftlichen Mailadresse impliziert, dass diese für den Rechtsverkehr bestimmt und damit ein Zugang wirksam gewährleistet werden kann. Darüber hinaus kommt es auf die tatsächliche Kenntnisnahme der E-Mail nicht an. Im vorliegendem Fall gelang der Antragstellerin der Beweis, dass die E-Mail um 11:06 Uhr, also zu üblichen Geschäftszeiten, auf dem Server eingegangen war (vgl. BGH, Urteil vom 06.10.2022 – VII ZR 895/21 – juris, Rn. 19,20).

 

Das Verlustrisiko der E-Mail darf hierbei jedoch nicht bei dem E-Mail-Empfänger verbleiben – wenn dieser beweisen kann, dass ihm die Möglichkeit zur Kenntnisnahme durch eine Firewall oder Spam-Einstellungen genommen wurde. Diese Verteidigungsmöglichkeit bleibt also unbenommen, obschon die Beweislast auch hier den Empfänger trifft. Im vorliegenden Fall gelang es der Antragsgegnerin nicht, die nötigen Beweise zu erbringen, sodass sie im Ergebnis zur Zahlung der Verfahrenskosten verurteilt wurde.

 

Know-how für die Praxis:

Der Verweis auf „verloren gegangene“ E-Mails wird in Zukunft nicht mehr pauschal dazu genügen, unliebsame Korrespondenz aus dem Weg zu schaffen. Darüber hinaus fällt auch ein Organisationsverschulden – also lückenhafte Prozesse und Fehler im Unternehmen, die nicht einer konkreten Person zugeordnet werden können – zu Lasten des E-Mailadressen-Betreibers. Interne Umstrukturierungen und Nachlässigkeit in der Eingangskontrolle können also selbst dann spürbare Folgen haben, wenn es keinen direkten „Schuldigen“ gibt.

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