Resturlaubsansprüche verjähren nicht automatisch – Auswirkungen auf Arbeitgeberpflichten und Urlaubsabgeltung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im letzten Jahr wegweisende Entscheidungen zum Thema Verfall und Verjährung von Resturlaubsansprüchen getroffen. Insbesondere die Urteile vom 20. Dezember 2022 (9 AZR 266/20; 9 AZR 245/19) haben für erhebliche Aufregung gesorgt, weil Arbeitgeber komplexe Aufforderungs- und Hinweispflichten erfüllen müssen, damit Urlaub verfallen oder verjähren kann.

 

Der Annahme, dass nicht in Anspruch genommener Urlaub am Ende des Jahres automatisch verfällt oder nach drei Jahren verjährt, stellte sich das BAG ausdrücklich entgegen. In diesem Zusammenhang hat das BAG zuletzt am 31. Januar 2023 eine weitere Entscheidung (9 AZR 107/20) getroffen, die die Obliegenheiten von Arbeitgebern weiter konkretisiert. In diesem Beitrag beleuchten wir die Konsequenzen dieser Entscheidungen und geben praktische Hinweise für Arbeitgeber.

Aufforderungs- und Hinweispflichten des Arbeitgebers im Fokus

 

Gesetzlich erlischt ein Urlaubsanspruch grundsätzlich zum Ende des Kalenderjahres oder – im Fall der Übertragung – zum 31. März des Folgejahres, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht in Anspruch genommen hat (§ 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz). Im Fall von langandauernder Arbeitsunfähigkeit galt bisher, dass ein Urlaubsanspruch 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres verfällt.

 

Entsprechend den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs und des BAG kann der Urlaub jedoch nur verfallen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Dazu ist insbesondere die klare Aufforderung, den Urlaub zu nehmen, und die Mitteilung, dass er bei Nichtbeantragung verfällt, erforderlich.

 

 

Sachverhalt: Finanzielle Abgeltung von 101 Urlaubstagen oder Verjährung des Urlaubsanspruchs?

 

In einem Verfahren mit Urteil vom 20. Dezember 2022 (9 AZR 266/20) strebte eine Arbeitnehmerin eine finanzielle Abgeltung von insgesamt 101 nicht in Anspruch genommenen Urlaubstagen in den Jahren 2013 bis 2017 an. Der ehemalige Arbeitgeber hatte weder zur Inanspruchnahme des Urlaubes aufgefordert noch auf den möglichen Verfall hingewiesen. Der Arbeitgeber berief sich auf die Verjährung der Ansprüche, da der Urlaub bereits vor mehr als drei Jahren durch die Arbeitnehmerin hätte genommen werden können.

 

 

Entscheidung: Keine Verjährung bei unterlassenem Hinweis auf Verfall

 

Das BAG folgte dieser Argumentation nicht und betonte, dass die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren erst ab dem Zeitpunkt beginne, zu dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über den konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen informiert habe. Zudem verfielen die Ansprüche weder am Ende des Kalenderjahres noch bis zum 31. März des Folgejahres, da der Arbeitgeber seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit nicht nachgekommen sei. Das BAG kritisierte, dass der Arbeitgeber die Klägerin nicht aktiv dazu befähigt habe, ihren Urlaubsanspruch auszuüben.

 

 

Parallelverfahren: Fortbestand von Urlaubsanspruch trotz Ablauf der 15-Monatsfrist

 

Die Aufforderungs- und Hinweispflichten des Arbeitgebers machte das BAG auch in dem Parallelverfahren mit Urteil vom 20. Dezember 2023 (9 AZR 266/20) deutlich. Der Urlaubsanspruch bleibt bestehen, wenn die Arbeitsunfähigkeit im Verlauf eines Kalenderjahres eintritt und der Arbeitgeber zuvor nicht die erforderlichen Hinweise gegeben hat. Hingegen verfällt der Urlaubsanspruch nach Ablauf von 15 Monaten, wenn die Arbeitsunfähigkeit seit Beginn des Urlaubsjahres bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgende Kalenderjahr besteht.

 

 

Jüngste Entscheidung aus Januar 2023: Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweispflichten innerhalb von sechs Werktagen nach Entstehen des Urlaubsanspruchs

 

Das BAG hatte über die Abgeltung von 30 Urlaubstagen aus dem Jahr 2016 zu entscheiden (Urteil vom 31. Januar 2023, 9 AZR 107/20). Der Arbeitnehmer war vom 18. Januar 2016 bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses im Jahr 2019 ununterbrochen krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Das BAG konkretisierte die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers um einen zeitlichen Aspekt. Der Arbeitgeber müsse seinen Mitwirkungsobliegenheiten unverzüglich nachkommen. Unter normalen Umständen sei dafür eine Woche, d. h. sechs Werktage ausreichend. Es begründete seine Entscheidung damit, dass das Risiko, Urlaubsansprüche wegen einer im Urlaubsjahr eintretenden Erkrankung nicht erfüllen zu können, den Arbeitgeber erst dann treffe, wenn er seine Mitwirkungspflichten tatsächlich erfüllen könne.

 

Tritt die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers so früh im Urlaubsjahr ein, dass der Arbeitgeber seine Pflichten zuvor tatsächlich nicht erfüllen konnte, verfallen die Urlaubsansprüche bei fortdauernder Erkrankung jedenfalls 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres; dies gilt auch bei Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten. Dieses zeitliche Erfordernis betreffe aber nur den Urlaub, den der Arbeitnehmer bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten durch den Arbeitgeber vor der Erkrankung tatsächlich hätte nehmen können. Nur für diese Urlaubstage gilt, dass a) ein Kausalzusammenhang zwischen der Nichtgewährung des Urlaubs und der Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten besteht und b) das Risiko ihres Verfalls wegen lang andauernder Krankheit auf den Arbeitgeber übergegangen ist.

 

 

Praxishinweis: Vermeidung von (finanzieller) Abgeltung nicht verfallener oder verjährter Urlaubsansprüche

 

Die Entscheidungen des BAG haben erhebliche Auswirkungen auf die Handhabung von Resturlaubsansprüchen. Arbeitgeber sind dazu angehalten, ihre Aufforderungs- und Hinweispflichten gewissenhaft zu erfüllen. Eine präzise und zeitnahe Information über bestehende Resturlaubsansprüche ist daher unerlässlich. Ein regelmäßiger Hinweis durch den Arbeitgeber, der Arbeitnehmer in die Lage versetzt, fundierte Entscheidungen über die Inanspruchnahme des Urlaubs zu treffen, sollte zur betrieblichen Routine werden.

 

Die aktuelle Entscheidung aus Januar 2023 unterstreicht die Bedeutung einer schnellen Erfüllung dieser Aufforderungs- und Hinweispflichten. Arbeitgeber sollten bestenfalls sicherstellen, dass sie innerhalb von sechs Werktagen nach Entstehen des Urlaubsanspruchs entsprechende Maßnahmen ergreifen (es bleibt zu hoffen, dass dieses eher praxisferne Gebot korrigiert wird). Darüber hinaus ist eine Überprüfung der Urlaubskonten der Vergangenheit ratsam, um nicht verfallene Resturlaubsansprüche zu identifizieren. Arbeitgeber sollten sicherstellen, dass ihre Arbeitnehmer über alle offenen Urlaubsansprüche aus den zurückliegenden Jahren informiert sind, um mögliche Abgeltungsansprüche zu vermeiden. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses könnten sonst noch offene Urlaubstage aus längst vergangenen Jahren nach den neuen BAG-Entscheidungen abzugelten sein. Diese Entwicklung erfordert eine verstärkte Aufmerksamkeit der Arbeitgeber, um rechtlichen Anforderungen zu genügen und um finanziellen Risiken vorzubeugen.

 

Wir halten es für sinnvoll, den Mitarbeitenden zu Beginn und im Herbst eines Urlaubsjahres entsprechende Hinweise zu geben.

 

 

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