Rechtsprechungsänderung des BGH zur Vorsatzanfechtung des § 133 InsO – was folgt daraus für die Darlegungs- und Beweislast?

Mit Urteil vom 6. Mai 2021 – IX ZR 72/20 hat der BGH die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung des § 133 InsO neu justiert und eine Zeitenwende eingeläutet. Denn die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast wurden für Insolvenzverwalter und Insolvenzverwalterinnen nochmal erhöht, die Verteidigungsmöglichkeiten der betroffenen Gläubiger/-innen dagegen verbessert. Was bedeutet das genau?

Danach reicht es zur Bejahung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes i.S.d. § 133 Abs. 1 InsO nicht mehr aus, dass der oder die Schuldner/-in im Zeitpunkt der entscheidenden Rechtshandlung erkanntermaßen zahlungsunfähig war. Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz setzt nun zusätzlich voraus, dass der oder die Schuldner/-in im maßgeblichen Zeitpunkt billigend in Kauf nahm, die übrigen Gläubiger/-innen auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können. Die gegenwärtige Zahlungsunfähigkeit muss also ein Ausmaß angenommen haben, dass eine vollständige Befriedigung der übrigen Gläubiger/-innen auch in Zukunft nicht erwarten lässt, weil ein Insolvenzverfahren unausweichlich erscheint (vgl. BGH a.a.O. Rn. 36).

Die Insolvenzverwalter/-innen werden hier also künftig nicht nur anhand der aktuellen Liquiditätslage darlegen und belegen müssen, dass das Schuldnerunternehmen nicht nur im Moment der Rechtshandlung zahlungsunfähig war, sondern anhand dieser entweder zeigen müssen, (i) dass das Ausmaß der Illiquidität bereits so groß war, dass eine vollständige Befriedigung der übrigen Gläubiger/-innen auch in Zukunft nicht gelingen wird, oder (ii) dass sich die aktuelle Liquiditätslage auch im weiteren Verlauf nicht verbessern oder sogar verschlechtern wird, so dass keine berechtigte Hoffnung auf Besserung bestand.

Mit anderen Worten: Es darf keine begründete Aussicht auf Beseitigung der Illiquidität bestehen. Eine Darstellung der Liquidität über einen Drei-Wochen-Zeitraum hinaus oder von zusätzlichen Umständen außerhalb von Finanzplänen erscheint daher künftig unausweichlich.

Bei der Gelegenheit hat der BGH zugleich die Anforderungen an den von dem/der Tatrichter/-in bei der Feststellung der Zahlungseinstellung anzulegenden Maßstab ausdrücklich erhöht. Dazu heißt es in Rn. 41:

„Anlass besteht jedoch zu einer Konkretisierung des durch den Tatrichter bei der Feststellung der Zahlungseinstellung anzulegenden Maßstabs. Entscheidend ist die am Beweismaß des § 286 ZPO zu messende, in umfassender und widerspruchsfreier Würdigung des Prozessstoffs zu gewinnende Überzeugung, der Schuldner könne aus Mangel an liquiden Zahlungsmitteln nicht zahlen. Eine besonders aussagekräftige Grundlage für diese Überzeugung ist die eigene Erklärung des Schuldners. Erklärt der Schuldner, eine fällige und nicht unbeträchtliche Verbindlichkeit binnen drei Wochen (vgl. BGH NZI 2016, 736 Rn. 27) nicht – und zwar auch nicht nur ratenweise – begleichen zu können, wird in aller Regel von einer Zahlungseinstellung des Schuldners im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung auszugehen sein. Dies gilt erst recht, wenn der Schuldner darüber hinaus ausdrücklich erklärt, zahlungsunfähig zu sein. Fehlt es an einer (ausdrücklichen) Erklärung des Schuldners, müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen. Zahlungsverzögerungen allein, auch wenn sie wiederholt auftreten, reichen dafür häufig nicht. Es müssen dann Umstände hinzutreten, die mit hinreichender Gewissheit dafürsprechen, dass die Zahlungsverzögerung auf der fehlenden Liquidität des Schuldners beruht.“

Fehlt es also wie zumeist an einer Erklärung, fällige Verbindlichkeiten nicht binnen drei Wochen, auch nicht ratenweise, zahlen zu können, oder etwa zahlungsunfähig zu sein, so müssen weitere, zusätzliche Umstände hinzutreten, die mit hinreichender Gewissheit ein Gewicht erreichen, das der Erklärung des oder der Schuldner/-in entspricht, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können.

In der Vergangenheit hat der BGH zahlreiche Beweistatsachen herausgearbeitet, die einzeln oder in einer Gesamtschau Zahlungseinstellung zu indizieren vermögen. Mehr denn je wird es nach der Rechtsprechungsänderung auf eine Gesamtschau ankommen, anhand derer belegt werden kann, dass das Schuldnerunternehmen aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen kann.

Wie sich aus Rn. 41 a.E. ergibt, reichen bloße Zahlungsverzögerungen allein, auch wenn sie wiederholt auftreten, dafür nicht aus. Auch hier müssen Umstände hinzutreten, die mit hinreichender Gewissheit dafürsprechen, dass die Zahlungsverzögerung auf der fehlenden Liquidität des Schuldnerunternehmens beruht.

Selbst wenn zu einem Zeitpunkt Zahlungseinstellung darstellbar wäre, so kann sich der/die Insolvenzverwalter/-in nicht mehr einfach darauf berufen, diese Zahlungsunfähigkeit hätte schlichtweg bis zum maßgeblichen Zeitpunkt (§ 140 InsO) einfach fortgedauert.

Bislang war es übliche Prozesspraxis der Insolvenzverwalter/-innen, zu einem frühen Zeitpunkt vor der nach § 140 InsO relevanten Rechtshandlung (z.B. Zahlung) die Zahlungseinstellung und Kenntnis des/der Anfechtungsgegners/Anfechtungsgegnerin davon zu behaupten, die dann bis zur maßgeblichen Rechtshandlung fortdauerte, wobei zwischen diesen Zeitpunkten nicht selten Monate oder Jahre lagen. Das führte weiter dazu, dass den Anfechtungsgegnern/-innen die Beweislast für die allgemeine zwischenzeitliche Wiederaufnahme der Zahlungen aufgebürdet wurde, was i.d.R. selten gelingt.

Mit Urteil vom 6. Mai 2021 – IX ZR 72/20 Rn. 43 – 45 hat der BGH diese Praxis nicht komplett beendet, aber erheblich erschwert, indem diese Fortdauer nur unter bestimmten Umständen vermutet wird.

Laut BGH hängen Stärke und Dauer der Vermutung für die Fortdauer der festgestellten Zahlungseinstellung jetzt davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist; dies gelte insbesondere für den Erkenntnishorizont des/der Anfechtungsgegners/Anfechtungsgegnerin. Ist also z.B. die Hauptforderung relativ geringfügig und lässt diese eine Sanierung außerhalb des Insolvenzverfahrens aus dem laufenden Geschäftsbetrieb zu, dann ist die Fortdauervermutung nicht gerechtfertigt. Dann muss der/die Insolvenzverwalter/-in einen anderen, näher an der angefochtenen Rechtshandlung liegenden Zeitpunkt finden, an dem er/sie die Zahlungsunfähigkeit und den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz verorten kann.

Schließlich verlangt der BGH jetzt für den Vollbeweis, dass der/die Anfechtungsgegner/-in Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz i.S.d. § 133 Abs. 1 InsO hatte, dass diese/-r im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldnerunternehmens im maßgeblichen Zeitpunkt zusätzlich wissen muss, dass dieses die übrigen Gläubiger/-innen auch künftig nicht vollständig befriedigen können wird.

Kann der/die Insolvenzverwalter/-in diesen Vollbeweis nicht führen, so hilft hier ausnahmsweise die gesetzliche Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO. Nach dieser Regelung wird die Kenntnis des Gläubigers vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Rechtshandlung die Gläubiger benachteiligte.

Der/die Insolvenzverwalter/-in kann sich also insoweit damit begnügen, zum einen darzulegen und zu belegen, dass (i) der/die Anfechtungsgegner/-in im maßgeblichen Zeitpunkt die Umstände kannte, aus denen sich zwingend die (drohende) Zahlungsunfähigkeit ergab, und (ii), dass der/die Anfechtungsgegner/-in wusste, dass es noch andere Gläubiger/-innen gibt, deren Forderungen von dem Schuldner/der Schuldnerin nicht vollständig bedient werden.

Mit letzterem, so der BGH (Rn. 51), müsse der/die Gläubiger/-in rechnen, wenn der/die Schuldner/-in unternehmerisch tätig sei. Der/die Insolvenzverwalter/-in muss also, um das Wissen der Anfechtungsgegner/-innen um die Benachteiligung übriger Gläubiger/-innen zu belegen, darlegen und beweisen, dass diese wussten, dass der/die Schuldner/-in unternehmerisch tätig war.

Mit Urteil vom 6. Mai 2021 – IX ZR 72/20 Rn. 9, 51 m.w.N. hat der BGH allerdings ausgeführt, dass die Kenntnis von eingetretener Zahlungsunfähigkeit nach der bisherigen Rechtsprechung nur indiziert, dass der/die Anfechtungsgegner/-in weiß, dass es noch andere Gläubiger/-innen gibt, deren Forderungen von dem/der unternehmerisch tätigen Schuldner/-in nicht vollständig bedient werden. Dem/der Anfechtungsgegner/-in steht hier der Gegenbeweis offen (§ 292 ZPO).

Die Anfechtungsgegner/-innen werden also künftig darzulegen und zu beweisen haben, dass sie entweder nicht wussten, dass sie es mit unternehmerisch tätigen Schuldnern/-innen zu tun haben (was eher selten gelingen dürfte), oder dass der/die Schuldner/-in doch zahlungsfähig war und die Anfechtungsgegner/-innen berechtigterweise im Zeitpunkt der später angefochtenen Zahlungen davon ausgingen, der/die Schuldner/-in könne sich auch in Zukunft ausreichend finanzieren und alle Gläubiger/-innen auch künftig noch befriedigen. Letzteres dürfte schwerfallen.

Fazit

Die Vorsatzanfechtung aus § 133 InsO wird weiterhin wichtiger Teil der Anfechtungspraxis bleiben, vor allem wenn es demnächst verstärkt gilt, den Zahlungsverkehr während der Covid-19-Pandemie unter Berücksichtigung des COVInsAG anzufechten. Eine Zeitenwende wird das BGH-Urteil dennoch einläuten, mehr denn je ist der oder die Insolvenzverwalter(in) gefordert, der Darlegungs- und Beweislast nachzukommen, um nicht nur schlüssig, sondern auch erfolgreich vorzutragen.

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