EuGH stärkt Klagerechte Privater bei Infrastrukturprojekten im Zusammenhang mit vorhabenbedingten Verschlechterungen des Grundwasserzustands

Christian Thomas

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bereits am 28. Mai 2020 über ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) entschieden (Rs. C-535/18). Mit seiner Grundsatzentscheidung stärkt der EuGH die Klagerechte von Privatpersonen gegen große Infrastrukturprojekte wegen vorhabenbedingter Verschlechterungen des Grundwasserzustands. Insofern befasst sich das EuGH-Urteil auch mit den Anforderungen an den Grundwasserschutz nach der europäischen Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG (WRRL).

Sachverhalt

Das Klageverfahren betrifft das Infrastrukturprojekt des Neubaus eines Autobahnzubringers zur A33 bei Bielefeld. Die zuständige Bezirksregierung hatte die Planfeststellung für den Neubau des Autobahnabschnitts von ca. 3,7 km Länge beschlossen. Mit dem straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschluss erhielt der Projektträger auch die wasserrechtliche Erlaubnis, das auf den Straßenoberflächen anfallende Niederschlagswasser in drei Oberflächenwasserkörper bzw. in das Grundwasser einzuleiten (Direkteinleitung). Hiergegen wendeten sich die privaten Kläger. Sie befürchteten insbesondere eine Gefährdung ihrer privaten Wasserversorgung über Hausbrunnen durch die zukünftige Versickerung von Straßenabwässern und damit gegebenenfalls einhergehenden Streusalzeinträgen.

Das Bundesverwaltungsgericht setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage, unter welchen Voraussetzungen Privatpersonen die Rechtmäßigkeit der Planfeststellung für ein großes Straßenbauvorhaben mit der Begründung anfechten können, die Anforderungen des europäischen Umweltrechts seien nicht eingehalten, zur Vorabentscheidung vor. Daneben bat das Bundesverwaltungsgericht auch um Klärung, nach welchen Kriterien sich die Verschlechterung des Zustandes eines Grundwasserkörpers nach der WRRL bemisst.

Erfordernis subjektiver Betroffenheit Privater unionsrechtskonform

Im Ergebnis stärkt der EuGH (erneut) die Klagerechte von Privatpersonen, billigt aber zugleich das Erfordernis der subjektiven Betroffenheit von privaten Klägern, welches das deutsche (Umwelt-)Verwaltungsrecht – richtigerweise – als Klagebefugnis vorschreibt. Popularklagen bleiben demnach auch im deutschen Umweltrecht eine Ausnahme.

Der EuGH hält den § 4 Abs. 3 Satz 2 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) für mit der europäischen Umweltverträglichkeitsprüfungs-Richtlinie 2011/92/EU (UVP-RL) vereinbar und bestätigt die Differenzierung des UmwRG hinsichtlich der Rechtsbehelfsmöglichkeiten. Demnach können in Deutschland Einzelpersonen – anders als anerkannte Umweltvereinigungen – etwaige Verfahrensfehler nur gerichtlich geltend machen, wenn diese Verfahrensfehler ihnen selbst das garantierte Recht auf Beteiligung an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren genommen haben. Nach deutschem Recht können (nur) Umweltverbände formale Verfahrensfehler rügen, selbst wenn durch den Fehler keine Beteiligungsrechte des Verbands verletzt wurden (Popularklage). Privatpersonen sind hingegen nur dann klagebefugt, wenn tatsächlich ihre eigenen Interessen durch einen Verfahrensfehler betroffen sind. Hiervon sei insbesondere bei dem Inhaber eines Hausbrunnens zur privaten Wasserversorgung auszugehen, wenn dieser zur Grundwasserentnahme und -nutzung berechtigt ist.

Wasserrechtliche Fachbeiträge zwingender Gegenstand der Öffentlichkeitsbeteiligung

Im konkreten Fall fehlten in den Bekanntmachungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung Hinweise auf die Antragsunterlagen zu den vorhabenbedingten Auswirkungen durch Straßenentwässerung und Lärm.

Hierzu führt der EuGH aus, dass die behördliche Prüfung der wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele, mithin des Verschlechterungsverbots sowie des Verbesserungsgebots, nicht erst nach erteilter Projektgenehmigung durchgeführt werden dürfen. Tatsächlich verlangt Art. 6 UVP-RL, dass Fachbeiträge zur Vereinbarkeit des Vorhabens mit der Wasserrahmenrichtlinie im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung zwingend mit auszulegen sind. Bereits im behördlichen Verfahren sind alle zur Beurteilung der wasserbezogenen Auswirkungen eines Projekts erforderlichen Angaben öffentlich zugänglich zu machen.

Vor diesem Hintergrund reicht es nach der Entscheidung des EuGH für eine erfolgversprechende Klage bereits aus, wenn in den im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung veröffentlichten Projektunterlagen Informationen fehlen, die zur Prüfung der umweltbezogenen Auswirkungen des Vorhabens erforderlich sind. Die bloße Möglichkeit, dass sich das Projekt nachteilig auf die private Wasserversorgung eines Anliegers auswirkt, begründet demnach dessen Rechtsschutz- bzw. Klagebefugnis.

Verschlechterung des Grundwassers anhand einzelner Messstelle beurteilbar

Zudem klärt der EuGH, dass der für Oberflächengewässer anerkannte Maßstab zur Bewertung der Verschlechterung des Gewässerzustandes grundsätzlich auch auf das Grundwasser übertragbar ist. Diese Frage war insbesondere im Nachgang zu dem sog. Weservertiefungsurteil des EuGH vom 1. Juli 2015 (Rs. C-461/13) in der juristischen Literatur intensiv diskutiert worden.

Gemäß § 27 Abs. 1 WHG sind Oberflächengewässer insbesondere so zu bewirtschaften, dass eine Verschlechterung ihres ökologischen und ihres chemischen Zustands vermieden wird. Für das Grundwasser bestimmt § 47 Abs. 1 WHG unter anderem, dass dieses so zu bewirtschaften ist, dass eine Verschlechterung seines mengenmäßigen sowie chemischen Zustands vermieden wird. Beide Regelungen des deutschen Wasserhaushaltsgesetzes dienen der Umsetzung von Art. 4 WRRL.

In seinem Weservertiefungsurteil hatte der EuGH erstmals festgestellt, dass eine Verschlechterung der Gewässerzustands bei Oberflächenwasserkörpern schon dann vorliegt, sobald sich der Zustand mindestens einer Qualitätskomponente um eine Klasse verschlechtert. Sofern die betreffende Qualitätskomponente bereits in der niedrigsten Klasse eingeordnet ist, stellt jede weitere Verschlechterung dieser Komponente zugleich eine Verschlechterung des Zustands des Oberflächenwasserkörpers dar. Zweifel an der Übertragbarkeit dieser Qualitätskomponentenklassentheorie auf das Grundwasser bestanden insbesondere deshalb, weil die Wasserrahmenrichtlinie hinsichtlich Oberflächenwasserkörpern eine fünfstufige Skala der ökologischen Qualitätskomponente kennt, mit Blick auf das Grundwasser hingegen lediglich zwischen dem guten und dem schlechten mengenmäßigen und chemischen Zustand unterscheidet.

Diese Zweifel räumt der EuGH nun aus und gibt wichtige, auch für die Praxis bedeutsame Hinweise zur Bedeutung der einzelnen Überwachungsstellen eines Grundwasserkörpers. Das Gericht führt aus, dass die für das Grundwasser in der Wasserrahmenrichtlinie festgelegten Qualitätsnormen und Schwellenwerte, mithin insbesondere die Grenzwerte für bestimmte Schadstoffe, die maßgeblichen Qualitätskomponenten darstellen, anhand derer die Verschlechterung des Zustands des Grundwassers zu bemessen ist. Die Prüfung des Grundwasserzustands ist somit qualitätskomponenten- bzw. stoffbezogen. Eine Verschlechterung des chemischen Zustands eines Grundwasserkörpers liegt im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie immer dann vor, wenn mindestens eine Qualitätsnorm oder ein Schwellenwert vorhabenbedingt überschritten wird. Dasselbe gilt, wenn die Konzentration eines Schadstoffs weiter erhöht wird, dessen Schwellenwert bereits überschritten ist.

Dabei sind die an jeder Überwachungsstelle gemessenen Werte isoliert zu betrachten. Auch wenn ein relevanter Schwellenwert „nur“ an einer einzigen Messstelle überschritten ist, kann grundsätzlich nicht mehr nur von einer lokalen, für das Verschlechterungsverbot irrelevanten Beeinträchtigung ausgegangen werden.

Bedeutung für die Praxis und Bewertung

Mit seiner Grundsatzentscheidung hat der EuGH bislang höchstrichterlich unbeantwortete Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung des wasserrechtlichen Verschlechterungsverbots bei vorhabenbedingten Einwirkungen auf das Grundwasser beantwortet. Die grundsätzliche Übertragung der für Oberflächengewässer entwickelten Grundsätze zum Inhalt des Verschlechterungsverbots auf das Grundwasser ist letztlich systematisch konsequent. Zudem hat der EuGH mit seiner Entscheidung die Klagerechte betroffener Privatpersonen gegen Infrastrukturprojekte sowie andere UVP-pflichtige Vorhaben, die potenziell Auswirkungen auf die Grundwasserbeschaffenheit haben können, gestärkt.

Das Urteil belegt die erheblich gestiegene Relevanz der wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele im Zusammenhang mit Infrastrukturvorhaben. Schließlich sind auch Privatkläger befugt, die Verletzung wasserrechtlicher Bewirtschaftungsziele vor nationalen Gerichten geltend zu machen, sofern sie durch die Verletzung unmittelbar betroffen sind.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist praktisch überaus bedeutsam, da sie sich letztlich auf sämtliche umweltrelevanten Infrastruktur- und Großprojekte und damit verbundene Klageverfahren auswirkt.

Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, dass zukünftig mehr Bürger wegen einer potenziellen Verschlechterung des Gewässerzustandes durch große Infrastrukturprojekte den Klageweg beschreiten könnten – was durchaus kritisch zu bewerten ist. Dies gilt insbesondere, da die Verschlechterung des Grundwasserzustandes schon maßgeblich anhand jeder einzelnen Messstelle beurteilt werden kann. Damit dies in der Praxis nicht zu einer noch intensiveren Beeinträchtigung und weiteren Verzögerung von bedeutsamen Infrastrukturprojekten führt, werden sowohl Vorhabenträger als auch die zuständigen Behörden zukünftig in noch stärkerem Maße auf die Einhaltung der Verfahrensgarantien im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung zu achten haben.

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