Insolvenzanfechtung bei Air Berlin: Was Lieferanten und Gläubiger jetzt wissen müssen

Seit 1. November 2017 ist das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung bei Air Berlin eröffnet. Der Sachwalter wird nun seine Anfechtungsschreiben an Lieferanten, Vertragspartner und andere Gläubiger verschicken. Er wird vor allem während der Krise von Air Berlin erhaltene Zahlungen zurückverlangen, ebenso nachträgliche Besicherungen. Wer glaubt, mit dem seit 5. April 2017 geltenden neuen Anfechtungsrecht sei er vor Anfechtung sicher, wird womöglich sein blaues Wunder erleben. Was müssen die Gläubiger von Air Berlin jetzt wissen?

Der Sachwalter von Air Berlin, Rechtsanwalt Flöther, hat mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht und die Pflicht, alle anfechtbaren Zahlungen und Vermögentranfers von Air Berlin an Lieferanten, Dienstleister und andere Vertragspartner zurück zu verlangen. Die sog. Anfechtungsgegner müssen wissen, dafür gilt das neue Anfechtungsrecht.

Die Reform der Insolvenzanfechtung ist am 5. April 2017 in Kraft getreten. Das neue Anfechtungsrecht findet auf alle Insolvenzverfahren Anwendung, die ab diesem Tag eröffnet werden. Worauf ist jetzt zu achten und wie können sich die Anfechtungsgegner gegen die kommenden Insolvenzanfechtungen verteidigen?

Verkürzung des Anfechtungszeitraums auf vier Jahre

Zahlungen von Air Berlin, die länger als vier Jahre vor Insolvenzantrag (15. August 2017) erfolgt sind, scheiden grundsätzlich aus der Anfechtung aus. Kern der Reform des Anfechtungsrechts war, Insolvenzverwaltern und Sachwaltern die Vorsatzanfechtung gem. § 133 Abs. 1 InsO zu erschweren. Die Anfechtungsfrist für sog. Deckungshandlungen ist von zehn auf die letzten vier Jahre vor Insolvenzantragstellung verkürzt worden.

Das sind alle Rechtshandlungen, die der Befriedigung oder Sicherung eines Gläubigers dienen. Die Verkürzung gilt also auch für inkongruente Deckungen, wo der Gläubiger etwas anderes als vereinbart erhält, z.B. wenn Air Berlin in der Krise noch vor Fälligkeit Rechnungen bezahlt haben sollte, der Gläubiger sich nachträglich eine Sicherheit bestellen oder sich statt mit Geld mit Ware bezahlen lassen hat.

Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit der Air Berlin nötig

Sollte der Lieferant oder Vertragspartner bereits in den Monaten vor Insolvenzantrag erkannt haben, dass Air Berlin die Zahlungsunfähigkeit droht, so wäre dies heute anders als früher unschädlich. Um die Vorsatzanfechtung einzudämmen, schadet seit der Anfechtungsreform in Fällen sog. kongruenter Deckungshandlungen die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht mehr. Das sind Geschäfte, bei denen Air Berlin seine jeweilige Zahlung oder Leistung in der geschuldeten Art und Weise erbracht hat.

Stattdessen muss jeder Anfechtungsgegner bei Vornahme der Rechtshandlung die bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, hier Air Berlin, gekannt haben, § 133 Abs. 3 Satz 1 InsO. Hat also der Lieferant den Kaufpreis für seine Ware erhalten, so muss der Sachwalter die Kenntnis des Lieferanten von Umständen belegen, die zwingend auf bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit schließen lassen.

Das wird kein einfaches Unterfangen, es ist aber auch nicht unmöglich. Zunächst stellt sich die Frage, ob der Sachwalter belegen kann, dass Air Berlin schon viel früher vor dem Insolvenzantrag am 15. August 2017 zahlungsunfähig war. Weiter wird der Sachwalter insbesondere den Zahlungsverkehr, Zwangsvollstreckungen und Mahnungen, die Kommunikation mit Air Berlin sowie Pressemeldungen analysieren, um dem Anfechtungsgegner Kenntnis von eingetretener Zahlungsunfähigkeit nachzuweisen.

Ratenzahlungsvereinbarung unschädlich

Sollte der Lieferant oder Vertragspartner Zahlungen von Air Berlin aufgrund einer Ratenzahlungsvereinbarung erhalten haben, so kann der Sachwalter nicht mehr einfach behaupten, allein deshalb habe der Anfechtungsgegner bereits die (drohende) Zahlungsunfähigkeit des anderen erkannt. Denn seit der Anfechtungsreform wird nun in § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO vermutet, dass derjenige, der mit dem kriselnden Schuldner eine Zahlungsvereinbarung trifft oder eine Zahlungserleichterung gewährt, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kennt.

Der Sachwalter muss hier also im Falle der Anfechtung solcher Zahlungen von Air Berlin andere Beweise benennen, z.B. dass Air Berlin die Ratenzahlungsvereinbarung nicht eingehalten oder mit neu entstandenen Forderungen in erheblichen Zahlungsrückstand geraten ist. Auch die dieser Gewährung typischerweise zugrunde liegende Bitte des Schuldners, anderenfalls nicht zahlen zu können, spielt jetzt keine Rolle mehr. Wer also bereits darauf geachtet hat, mit Air Berlin schriftlich fixierte Zahlungserleichterungen zu vereinbaren, statt dauerhaft verspätete Teilzahlungen zu kassieren, mit Liefersperren zu drohen oder ständig zu mahnen, der hat gute Argumente gegen die Anfechtbarkeit.

Bargeschäfte mit Air Berlin sind privilegiert

Sollten Lieferanten und Vertragspartner nur gegen Vorkasse an Air Berlin geliefert haben, so dürften sie auf der sicheren Seite sein: Seit der Anfechtungsreform gilt das sogenannte Bargeschäftsprivileg gemäß § 142 InsO ausdrücklich auch für die Vorsatzanfechtung. Jetzt sind grundsätzlich alle Geschäfte vor Anfechtung geschützt, wenn für die Leistung unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung geflossen ist, weil es dann an einer Gläubigerbenachteiligung fehlt.

Lieferanten dürfen also den Kaufpreis für die Lieferung oder das Entgelt für die erbrachte Leistung behalten, wenn Air Berlin binnen 30 Tagen nach Lieferung oder Leistung bezahlt haben sollte. Um das Anfechtungsrisiko hier auszuschließen, sollte der Lieferant oder Dienstleister darauf geachtet haben, dass dieses Zahlungsziel von Air Berlin auch eingehalten worden ist. Jede Art von Kreditierung über 30 Tage hinaus ist dagegen schädlich, hier liegt dann kein Bargeschäft mehr vor.

Sachwalter kann Zinsen erst ab Verzug verlangen

Früher wurden Anfechtungsansprüche noch in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz automatisch ab Insolvenzeröffnung verzinst. Solche Zinsen, hier ab 1. November 2017, kann der Sachwalter von Air Berlin nicht mehr verlangen! Infolge der Anfechtungsreform erfolgt in allen seit 5. April 2017 eröffneten Insolvenzverfahren eine Verzinsung nur noch ab Schuldnerverzug. D.h., im Fall von Air Berlin muss der Sachwalter erst einmal mahnen, bevor er Zinsansprüche geltend machen kann.

Der Sachwalter wird also, um Zinsausfälle gerade bei höheren Forderungen zu vermeiden, sobald als möglich die Anfechtungsschreiben versenden, um die Anfechtungsgegner in Verzug zu setzen. Gerade bei höheren Forderungen ist eine Verzinsung von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz keine Kleinigkeit.

Kein Schutz von Zwangsvollstreckungen

Gläubiger, die in den Wochen und Monaten vor Insolvenzantrag bei Air Berlin zwangsvollstreckt haben sollten, müssen dagegen jetzt um die Früchte ihrer Arbeit fürchten: Mit der Anfechtungsreform nicht umgesetzt wurde das ursprüngliche Vorhaben, dass Gläubiger Zahlungen behalten dürfen, die sie im Wege der Zwangsvollstreckung, z.B. mit Hilfe des Gerichtsvollziehers, vom Schuldner erlangt haben.

Es ist vielmehr auch weiterhin Gesetz, dass der Air Berlin Sachwalter zwangsvollstreckte Beträge von den Gläubigern zurückverlangen kann, wenn diese innerhalb von drei Monaten vor dem Insolvenzantrag erfolgt sind. Sind allerdings mehr als drei Monate seit der Vollstreckung vergangen, so wird der Gläubiger ziemlich sicher sein Geld behalten können.

Fazit

Die Anfechtungsreform dürfte das Risiko minimiert haben, dass Gläubiger Beträge an deren Sachwalter zurückzahlen müssen, die sie für ihre Lieferungen von einer kriselnden Air Berlin bezahlt bekommen haben. Gleichwohl sind sie nicht auf der sicheren Seite.

Der Sachwalter wird nach Wegen suchen, anfechtbare Rechtshandlungen geltend zu machen. Deshalb ist es wichtig, zu wissen, wie sich Gläubiger dagegen verteidigen können.

Dr. Volker Hees ist Fachanwalt für Insolvenzrecht und Partner bei HLFP Hoffmann Liebs. Er vertritt ständig Gläubiger in Anfechtungsstreitigkeiten gegen Insolvenzverwalter und Sachwalter, auch vor Gericht.

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