Offene Videoüberwachung am Arbeitsplatz: Speicherung von Bildsequenzen wird nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig

BAG, Urteil vom 23. August 2018 – 2 AZR 133/18

In der Praxis stellt sich für Arbeitgeber im Falle einer Begehung von Straftaten durch Arbeitnehmer die Frage, inwieweit Aufzeichnungen von Kameras zur offenen Videoüberwachung gespeichert und in einem gerichtlichen Prozess verwertet werden können. Das BAG hatte aktuell im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses zu entscheiden, inwiefern sich in diesem Zusammenhang ein Beweisverwertungsverbot ergeben kann bzw. unter welchen Voraussetzungen die Speicherung des Bildmaterials und spätere Auswertung rechtmäßig ist.

Der Fall

Die Klägerin war seit 2006 in einem Tabak- und Zeitschriftenhandel mit angeschlossener Lottoannahmestelle beschäftigt. Dort hatte der Beklagte Kameras zur offenen Videoüberwachung installiert, wobei er mit den Aufzeichnungen sein Eigentum vor Straftaten sowohl der Kunden als auch seiner Arbeitnehmer schützen wollte. Bei einer stichprobenartigen Ermittlung der Warenbestände im dritten Quartal 2016 wurde nach dem Vortrag des Beklagten ein Fehlbestand der Tabakwaren festgestellt. Dies nahm der Beklagte zum Anlass, im August 2016 die Videoaufzeichnungen auszuwerten, wobei sich gezeigt habe, dass die Klägerin an zwei Tagen im Februar 2016 Verkäufe von Tabakwaren nicht registriert und das vereinnahmte Geld nicht in die Registrierkasse gelegt habe. Daraufhin kündigte der Beklagte der Klägerin fristlos „wegen der begangenen Straftaten“.

Die Entscheidung

Der 2. Senat des BAG hat entschieden, dass die Speicherung von Bildsequenzen aus einer zulässigen offenen Videoüberwachung, die vorsätzliche Handlungen eines Arbeitnehmers zulasten des Eigentums des Arbeitgebers zeigen, nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig wird, solange die Rechtsverfolgung durch den Arbeitgeber materiell-rechtlich möglich ist. Sofern zulässig erhobene Daten den Verdacht einer Pflichtverletzung begründen, darf der Arbeitgeber grundsätzlich alle Daten unter den Voraussetzungen von § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG a.F. speichern und verwenden, die er benötigt, um die ihm obliegende Darlegungs- und Beweislast in einem potenziellen Rechtsstreit um die Wirksamkeit einer Kündigung und/oder das Bestehen von Schadensersatzansprächen zu erfüllen. In diesem Rahmen findet eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statt, d.h. die Verarbeitung und Nutzung der erhobenen personenbezogenen Daten muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Dabei bleibt die Speicherung des Bildmaterials, welches geeignet ist, den mit einer rechtmäßigen Videoaufzeichnung verfolgten Zweck zu fördern, grundsätzlich erforderlich, weil es sich oftmals um die einzigen und vor allem um die „zuverlässigsten“ Erkenntnis- und Beweismittel handelt, bis der Zweck entweder erreicht, aufgegeben oder nicht mehr erreichbar ist. Eine erforderliche Speicherung von Aufzeichnungen, die vorsätzliche Handlungen gegen das Eigentum des Arbeitgebers belegen sollen, ist nur in äußersten Ausnahmefällen unangemessen. Dies ist in der Regel nur der Fall, wenn die greifbare Gefahr eines Missbrauchs personenbezogener Daten besteht, d.h. wenn das Verhalten des Arbeitgebers objektiv den Schluss zulässt, er wolle die Passagen nicht allein zur Rechtsverfolgung verwenden. Der rechtmäßig gefilmte Täter ist in Bezug auf die Aufdeckung und Verfolgung seiner materiell-rechtlich noch verfolgbaren Tat nicht schutzwürdig und wird dies auch nicht durch bloßen Zeitablauf. Mit Blick auf mögliche „heimliche“ Verletzungen seines Eigentums durch seine Arbeitnehmer kann der Arbeitgeber nicht darauf verwiesen werden, die gesamten Aufzeichnungen nach kurzer Zeit zu löschen bzw. unbesehen überschreiben zu lassen. Eine anlassbezogene Auswertung der relevanten Aufzeichnungsteile zu einem späteren Zeitpunkt und weitere Verwendung sind rechtmäßig und stellen keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers dar. Ein Beweisverwertungsverbot besteht in einem solchen Fall nicht. Diesem Ergebnis stehen auch nicht die Vorschriften der seit dem 25. Mai 2018 geltenden DS-GVO und des BDSG n.F. entgegen. Das BAG stellte ausdrücklich fest, dass der Arbeitgeber die relevanten Sequenzen auch nach der geänderten Rechtslage nicht löschen musste. Es erfolgt nach Ansicht des BAG eine nach der DS-GVO und dem BDSG n.F. verhältnismäßige und damit rechtmäßige Datenverarbeitung, wenn die relevanten Sequenzen weiter vorgehalten und im Fortgang des Rechtsstreites beim Landesarbeitsgericht weiterverwendet werden.

Bewertung

Das Urteil des BAG ist aus Arbeitgebersicht zu begrüßen. Die Entscheidung überzeugt und ist gut nachvollziehbar. Es würde dem Zweck des Persönlichkeitsschutzes des Arbeitnehmers widersprechen, wenn man vom Arbeitgeber fordern würde, vorrangig aus präventiven Zwecken die Videoüberwachung laufend vollumfänglich einzusehen, um relevante Sequenzen weiterverarbeiten zu dürfen. Die Entscheidung des BAG lässt jedoch Fragen offen, da keine konkreten Löschfristen festgelegt wurden. Für die Frage des Beweisverwertungsverbots kommt es weiterhin auf eine umfassende Interessenabwägung an, wobei eine Rechtsgrundlage für die Datenerhebung gegeben sein muss, d.h. datenschutzrechtliche Vorgaben müssen wie zuvor umfassend beachtet werden.

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