Betriebsschließungsversicherungen – Rettung für Versicherungsnehmer in der COVID-19-Pandemie?

Die COVID-19 Pandemie hat viele Unternehmen aufgrund coronabedingter Umsatzeinbußen in existenzbedrohende Situationen versetzt. Betriebsschließungsversicherungen führten vor der COVID-19-Pandemie eher ein Schattendasein. Dies hat sich schlagartig geändert. Mittlerweile beschäftigen sich Hunderte von Gerichten mit der Frage, ob coronabedingte Umsatzeinbußen infolge behördlicher Anordnungen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes („IfSG“) von abgeschlossenen Betriebsschließungsversicherungen abgefedert werden können.

Kaum eine Versicherung leistet uneingeschränkt die versicherte Summe. Vielmehr beschränken sich die allermeisten Versicherungen außergerichtlich darauf, nach der sogenannten „Bayerischen Lösung“ 10-15 % der vereinbarten Tagesentschädigung zu zahlen. Dies hat in der Konsequenz dazu geführt, dass zahlreiche Versicherungsnehmer Klagen gegen die Versicherungen auf Zahlung der vollen Versicherungsleistung erhoben haben.

Mittlerweile sind einige Klageverfahren zweitinstanzlich entschieden worden. Bei den Oberlandesgerichten entwickelt sich eine deutliche Tendenz. Mit Ausnahme des 12. Versicherungssenats des Oberlandesgericht Karlsruhe haben alle anderen Oberlandesgerichte einen Versicherungsfall abgelehnt. Dies in den meisten Fällen mit dem zentralen Argument, dass in den Versicherungsbedingungen ein abschließender Katalog von versicherten Krankheiten aufgeführt sei. Das neuartige Corona-Virus sei in diesem abschließenden Katalog eben nicht aufgelistet.

Doch diese Rechtsauffassung greift sichtlich zu kurz. Der in versicherungsrechtlichen Angelegenheiten hochangesehene 12. Zivilsenat des Oberlandesgericht Karlsruhe hat in seinen Entscheidungen vom 30. Juni 2021 – 12 U 4/21 und 5. Oktober 2021 – 12 U 107/21 festgestellt, dass dort, wo die Versicherungsbedingungen und der darin enthaltene abschließende Katalog einer Betriebsschließungsversicherung mehrfach auf das IfSG Bezug nehmen (§ 6 und § 7 IfSG), wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam sind. Zu berücksichtigen dürfte an dieser Stelle auch der Umstand sein, wonach viele OLG im Rahmen der Auslegung an das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers zu hohe Anforderungen stellen. Aufgrund der Unwirksamkeit der Klausel (abschließender Katalog) besteht Versicherungsschutz für eine bedingungsgemäße Betriebsschließung auch aufgrund des Auftretens von Krankheiten und Krankheitserregern, die von den Generalklauseln in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 IfSG und § 7 Abs. 2 S. 1 IfSG („bedrohliche Krankheit“; „schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit“) erfasst werden. Diese Generalklauseln schließen die Krankheit COVID-19 bzw. den Krankheitserreger SARS-CoV-2 mit ein.

Dieser Wertung des Oberlandesgericht Karlsruhe ist im Ergebnis zuzustimmen. Denn das Transparenzgebot erfordert es, eine Regelung hinreichend klar und verständlich zu formulieren. Doch wenn viele Versicherungen in ihren Klauselwerken zusätzlich noch auf das IfSG (und damit eben auch auf die Generalklauseln in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 IfSG und § 7 Abs. 2 S. 1 IfSG) verweisen, vermittelt dies doch den Versicherungsnehmern gerade den Eindruck, der Versicherungsschutz orientiere sich an den Voraussetzungen für eine Betriebsschließung nach dem IfSG. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Parallelentscheidung des Oberlandesgericht Karlsruhe vom 30. Juni 2021 – 12 U 11/21. Denn dort enthielten die Versicherungsbedingungen in dem abschließenden Katalog keinen zusätzlichen Verweis auf das IfSG und wurden von dem Senat als hinreichend transparent gewertet.

Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass sich neben der Frage des Transparenzgebotes auch weitere Streitfragen ergeben. Insbesondere, ob auch sogenannte faktische Betriebsschließungen dem Versicherungsschutz unterfallen. Hierbei ist dem Versicherungsnehmer die Öffnung seines Betriebs zwar rein theoretisch noch möglich (z. B. Beherbergung von Geschäftsreisenden; Außerhausverkauf), das ihm noch erlaubte Geschäft stellt jedoch eine derart untergeordnete Rolle dar, sodass ein verbleibender, verschwindend geringer Umsatz wie eine faktische Schließung wirkt. Ferner besteht die Frage, ob eine behördliche Schließung voraussetze, dass eine konkrete, einzelfallbezogene Maßnahme zur Bekämpfung einer gerade aus dem konkreten Betrieb erwachsenden Infektionsgefahr (sog. intrinsische Gefahr) erfolge und ein derartiges Leistungsversprechen Schließungen aufgrund genereller gesellschafts- und gesundheitspolitischer Maßnahmen in einer pandemischen Ausnahmesituation wie im Rahmen des Corona-Lockdown nicht erfasse.

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgericht Karlsruhe hat in seinen Entscheidungen vom 30. Juni 2021 – 12 U 4/21 und 5. Oktober 2021 – 12 U 107/21 auch in diesen Fällen den Versicherungsnehmern Mut zugesprochen und festgestellt, dass ein Versicherungsschutz auch im Falle faktischer Betriebsschließungen anzunehmen ist und es keiner sog. intrinsischen Gefahr bedarf.

Schlussendlich wird es jedoch – wie so oft – darauf ankommen, wie sich der Bundesgerichtshof positioniert. Obwohl bereits erste Verfahren anhängig sind, dürfte mit einer ersten Entscheidung wohl frühestens Ende nächsten Jahres zu rechnen sein. Bis dahin ist eine Klage mit erheblichen finanziellen Risiken behaftet. Wer sich dazu entscheidet zunächst abzuwarten, muss Verjährungsrisiken und Klagefristen im Blick behalten, um am Ende eigene Ansprüche auch durchsetzen zu können – sofern der BGH zugunsten der Versicherungsnehmer entscheidet. Hierzu ist die Korrespondenz mit dem Versicherer vor dem Hintergrund der jeweils gültigen Bedingungswerke genau zu prüfen.

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