Individualvertrag oder AGB – Kann es dahinstehen? Yes, it can!?

Im deutschen Rechtssystem gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Bis zur Grenze der Billigkeit und von Treu und Glauben können die Parteien den Vertragsinhalt frei ausgestalten. Die Verwendung vorgefertigter, standardisierter Vertragsklauseln führt jedoch häufig dazu, dass AGB-Klauseln dazu eingesetzt werden, um Vertragsrisiken auf den Vertragspartner, womöglich die „schwächere Partei, abzuwälzen. Dem soll durch die strenge, gesetzlich detailliert geregelte und durch die Rechtsprechung geprägte Inhaltskontrolle des AGB-Rechts Einhalt geboten werden.

Anwendungsbereich des AGB-Rechts

Nach der gesetzlichen Definition von Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind darunter sämtliche Vertragsbedingungen zu verstehen, die vom Verwender vorformuliert und für eine Vielzahl von Verträgen bestimmt sind, und die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Da die Rechtsprechung zunehmend strengere Anforderungen an das Aushandeln von Vertragsbedingungen und damit an das Vorliegen einer Individualvereinbarung stellt (sehen Sie hierzu den Leitartikel der Juni-Ausgabe unseres Newsletters), handelt es sich bei der weit überwiegenden Zahl der im Geschäftsverkehr verwendeten Verträge tatsächlich um solche, die dem AGB-Recht (§§ 305 ff. BGB) unterfallen. Wenn auch manchmal nicht der Vertrag als Ganzes standardisiert ist, so wird heute aber Jedenfalls jeder im Geschäftsverkehr verwendete Vertrag derartige AGB-Klauseln enthalten.

Weite und strenge AGB-rechtliche Inhaltskontrolle

Zwar gilt auch insofern weiterhin formal die Vertragsfreiheit, aber gewisse Grenzen müssen eingehalten werden und zwar für jede Art von Verträgen, insbesondere aber bei standardisierten Vertragswerken und –klauseln. Aus AGB-rechtlicher Sicht ist die Grenze dort, wo die Ausführung des Vertrags eine unangemessene Benachteiligung für den Vertragspartner bedeutet.

In diesem Zusammenhang sind die folgenden Aspekte von Relevanz: (a) Wird der Vertragszweck vereitelt? (b) Wird der Vertragspartner in einem Regelungspunkt enttäuscht, auf den er nach der Natur des Rechtsgeschäfts im Kern vertrauen darf? (c) Liegt eine einseitige Interessendurchsetzung ohne Nachteilsausgleich vor? Werden die zuvor genannten Fragen mit „Ja“ beantwortet, so ist eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners anzunehmen. Ein Vertragswerk, das solch eine Klausel beinhaltet, hält der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nicht stand und die Klausel ist unwirksam.

Der Versuch der Umgehung AGB-rechtlich relevanter Formulierungen lohnt in der Regel nicht. Denn die Vorschriften des AGB-Rechts finden auch dann Anwendung, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden (§ 306a BGB). Die Rechtsprechung ist hier sehr aufmerksam. Ausreichend ist bereits das Anstreben einer wirtschaftlich wirkungsgleichen Praxis, sodass Vertragsklauseln schon gar nicht mehr verschriftlicht werden müssen, solange sie nur praktischer Natur sind und tatsächlich ausgeübt werden. Als Beispiel sei hier angeführt, wenn regelmäßig eine Gebühr (z.B. Aufwandsgebühr für Kontopfändungen) erhoben wird, dies aber nicht in AGB oder anderweitig vertraglich festgehalten ist.

AGB-Recht als grundlegende Gerechtigkeitserwägung

Als grundlegende Gerechtigkeitserwägungen und allgemeine Rechtmäßigkeits- und Billigkeitskontrolle sind bei der individuellen Vertragsgestaltung die Vorschriften der §§ 134, 138 und 242 BGB zu beachten. Danach darf ein Rechtsgeschäft – abstrakt formuliert – nicht gegen ein gesetzlich geregeltes Verbot verstoßen, es darf sich nicht um einen Wuchergeschäft handelt und auch nicht gegen die guten Sitten, also das Anstands- und Gerechtigkeitsempfinden aller billig und gerecht Denkender, oder Treu und Glauben verstoßen.

Auf höchstrichterlicher Ebene wurde nunmehr in einer weitreichenden, aber zu erwartenden Entscheidung (BGH, Urteil vom 20. März 2014 – Az.: VII ZR 248/13) ausgeführt, dass gesetzliche Vorschriften, die sozialem und wirtschaftlichem Ungleichgewicht entgegenwirken, die objektiven Grundentscheidungen der Grundrechte und damit zugleich das grundgesetzliche Sozialstaatsprinzip verwirklichen.

Diese verfassungsrechtliche Vorgabe habe der Gesetzgeber auch mit den Regelungen der §§ 305 ff. BGB umgesetzt. Die berechtigte Frage ist, was es zu bedeuten hat, dass der BGH die Vorschriften des AGB-Rechts quasi „auf Grundrechtsniveau“ hebt. Zum einen ist damit klargestellt, dass das AGB-Recht nicht zur Disponibilität der Vertragsparteien steht.

Die Anwendung und damit auch die strenge Inhaltskontrolle kann nicht ausgeschlossen werden – auch nicht durch individuelle Vereinbarung. Zum anderen hat es wohl aber auch zur Folge, dass die Wertungen des AGB-Rechts als grundlegende Gerechtigkeitserwägungen Einzug in die nicht standardisierte Vertragsgestaltung und zwar über die allgemeine Rechtmäßigkeits- und Billigkeitskontrolle der §§ 134, 138 und 242 BGB findet.

Entsprechende Anwendung des AGB-Rechts

Die aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung ist mittlerweile bei den Instanzgerichten angelangt. Verschiedene vertragliche Erklärungen werden nunmehr an den Wertungen des AGB-Rechts gemessen. So hat beispielsweise erst jüngst das OLG Frankfurt a. M. (Urteil vom 12.05.2016 – Az.: 22 U 205/14) entschieden, dass bei einer Klausel im Rahmen eines Angebots auf eBay (sog. Spaßbieter-Klausel bei eBay) die Wertungen der §§ 305 ff. BGB entsprechend herangezogen werden müssen – selbst wenn formal keine AGB vorliegen.

Ausblick in die Zukunft

Letztlich kann die Tendenz der Rechtsprechung zukünftig zur Folge haben, dass es dahinstehen kann, ob es sich um klassische AGB oder sonst standardisierte Vertragswerke oder um Individualverträge handelt. Denn die Wertungen des AGB-Rechts sind als – verfassungsrechtlich abgesicherte – grundlegende Gerechtigkeitserwägungen allgemein zu berücksichtigen. Einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle wird man sich kaum noch – auch nicht durch die „Flucht“ in die Individualvereinbarung – entziehen können.

Die Bedeutung des AGB-Rechts nimmt dadurch weiter deutlich zu. Die damit einhergehenden Risiken bei der Verwendung unwirksamer AGB ebenfalls (z.B. Wettbewerbsnachteil, Abmahnung, Haftung). Schon aus wirtschaftlichen Aspekten ist es für ein Unternehmen empfehlenswert, Verträge ebenso wie Allgemeine Geschäftsbedingungen an diese Anforderungen anzupassen.

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