Die aktuelle Entscheidung des BAG (16. Februar 2022) wird vielerorts als Meilenstein bezeichnet und in zahlreichen Medien aufgegriffen. Doch bringt sie wirklich die Zeitenwende, die ihr schon jetzt zugemessen wird?
Im aktuellen Blogbeitrag erläutert Heiko Langer, Partner der Praxisgruppe Arbeitsrecht, die Hintergründe zum aktuellen Diskurs und auf welche Änderungen sich die Unternehmenspraxis infolge der jüngsten BAG-Entscheidung einstellen muss.
In einem aktuellen Urteil vom 16. Februar 2022 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass das Verhandlungsgeschick eines männlichen Bewerbers kein Grund ist, einer weiblichen Mitarbeiterin in gleicher Tätigkeit eine niedrigere Vergütung zu zahlen. Auch die – im Übrigen nicht näher belegte – Behauptung des Arbeitgebers, man habe auf dem Arbeitsmarkt keine anderen Bewerber zu einem niedrigeren Gehalt finden können, hilft dem Arbeitgeber nach Ansicht des BAG nicht weiter.
Eine Mitarbeiterin war seit März 2017 als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb eines Unternehmens tätig. Ihr Grundgehalt betrug monatlich 3.500 Euro brutto. Neben dieser Mitarbeiterin waren zwei männliche Mitarbeiter im Vertrieb beschäftigt – einer davon war kurz vor der Mitarbeiterin im Januar 2017 eingestellt worden. Besagter Mitarbeiter hatte erfolgreich ein monatliches Grundgehalt von 4.500 Euro brutto verhandelt, nachdem der Arbeitgeber zunächst ebenfalls 3.500 Euro brutto angeboten hatte. Der weitere Kollege war seit über 30 Jahren im Unternehmen und als „Leiter Vertrieb Gehäuse und Kommunikationstechnik“ mit einem außertariflichen Gehalt von 4.500 Euro brutto pro Monat tätig. Die Mitarbeiterin verlangte nach Bekanntwerden dieser Abweichung die Zahlung der monatlichen Differenz zur Vergütung des kurz vor ihr eingestellten Kollegen.
Die Entscheidung des BAG wird teils als Meilenstein bezeichnet. Doch ist sie das wirklich? Bei genauer Betrachtung ist die Entscheidung nämlich keineswegs überraschend. Denn schon das Allgemeine Gleichheitsgesetz (AGG) von 2006 verbietet die Benachteiligung bei der Vergütung aufgrund des Geschlechts. Das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) aus 2017 schreibt zudem ausdrücklich vor, dass bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine Benachteiligung wegen des Geschlechts verboten ist. Selten fallen gesetzliche Regelungen so klar aus.
Ebenfalls gesetzlich festgelegt ist die Beweislastverteilung: Wird ein männlicher Mitarbeiter besser bezahlt als eine weibliche Mitarbeiterin mit gleicher Tätigkeit, indiziert das bereits die Benachteiligung – auch in diesem Mechanismus ist also der Arbeitnehmerschutz bereits sichtbar angelegt. Dann ist der Arbeitgeber am Zug und muss darlegen und beweisen, dass es für die höhere Vergütung Gründe gibt, die nicht mit dem Geschlecht der Mitarbeitenden zusammenhängen. Das erscheint auch aus praktischer Sicht lebensnah, da der Arbeitgeber das Gehaltsgefüge und die Gehaltsfindungsmechanismen im Unternehmen natürlich besser kennt als der Mitarbeitende. .
Auch die „Richtung“ der BAG-Entscheidung stimmt: Der Gender-Pay-Gap ist auch in den Medien häufig ein Thema. Zahlreiche Studien zeigen, dass Frauen in gleichen oder vergleichbaren Positionen häufig weniger als ihre männlichen Kollegen verdienen. Laut dem Statistischen Bundesamt haben Frauen im Jahr 2021 in Deutschland pro Stunde durchschnittlich 18 % weniger verdient als Männer. Das AGG und das EntgTransG sollen hier einen Riegel vorschieben, wenn es keine objektiven Differenzierungsgründe gibt. Würde man nun das Verhandlungsgeschick des männlichen Bewerbers als Differenzierungsgrund zulassen, dann würde man dem Gender-Pay-Gap in letzter Konsequenz geradezu Tür und Tor öffnen. Das ist vom Gesetzgeber – und auch aus gesamtgesellschaftlicher Sicht – aber gerade nicht gewollt. Insofern ist die Entscheidung des BAG zwar nicht das Feuerwerk, zu dem sie gemacht wird, dafür aber inhaltlich richtig und konsequent.
Unternehmen mit einem allgemeinen und objektiven Stellenbewertungssystem werden nicht umdenken müssen und können die aktuelle Entscheidung demzufolge gelassen entgegennehmen. Handlungsbedarf besteht allerdings dann, wenn die Gehaltsfindung individualisiert stattfindet. Hier muss vorsichtig handeln, wer unterschiedliche Gehälter für die gleiche Tätigkeit vereinbart. Jedenfalls reicht der Verweis auf die Verhandlungsstärke des Gegenübers spätestens nach der aktuellen BAG-Entscheidung nicht mehr aus.
Unternehmen sind gut beraten, Differenzierungsgründe bei der Gehaltsfindung zu dokumentieren, die explizit geschlechtsunabhängig sind. Das können spezifische Kenntnisse, die Berufserfahrung oder ein besonderer Ausbildungsstand sein. Stellt sich die Situation so dar, dass man mit dem zunächst angebotenen Gehalt auf dem aktuellen Bewerbermarkt keine Kandidaten findet, sollte auch diese Erkenntnis ausführlich dokumentiert werden, beispielsweise durch Stellenausschreibungen und Absagen, um im Zweifelsfall nicht nur die eigenen Bemühungen nachweisen, sondern eine etwaige Erhöhung des (Einstiegs-)Gehaltes belastbar mit den Marktgegebenheiten begründen zu können. Wichtig ist also, dass Gehaltsdifferenzen möglichst immer auf objektive und nachvollziehbare Kriterien gestützt werden.
Bei Equal Pay stellen sich noch immer viele Fragen – nach unserer Erfahrung sind dies oftmals:
Da die Antworten auf diese Fragen von den Umständen des Einzelfalls abhängen, führt eine detaillierte Bearbeitung an dieser Stelle zu weit. Wir werden die weiteren Entwicklungen jedoch verfolgen und Sie regelmäßig zu Neuerungen informieren – auf unserer Website und weiteren Medienkanälen.
Hinweise
Bislang liegt nur die Pressemitteilung des BAG vor. Einzelheiten werden sich erst aus der ausführlichen Urteilsbegründung ergeben. Bis dahin ist bei der Deutung und Umsetzung der BAG-Entscheidung noch Vorsicht geboten
Dieser Artikel stellt keine Rechtsberatung dar. Ist eine solche erforderlich, steht Ihnen das gesamte Team Arbeitsrecht gern zur Verfügung.
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