In seiner kürzlich veröffentlichten Entscheidung vom 7. September 2021 – 9 AZR 3/21 (A) beschäftigte sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der Frage der Urlaubsabgeltung bei langzeiterkrankten Mitarbeitern und einer gleichzeitigen Verletzung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers. Die Entscheidung ist ein guter Anlass, um sich einen Überblick über den Urlaubsanspruch der Mitarbeiter zu verschaffen.
Grundsätzlich hat jeder Mitarbeiter nach einer Wartezeit von 6 Monaten Anspruch auf bezahlten Urlaub. Neben dem gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Urlaubstagen bei einer 5-Tage-Woche steht dem Mitarbeiter häufig aber noch ein zusätzlich gewährter, vertraglicher Mehrurlaub zu. Ein Großteil der diesbezüglichen Erhebungen in Deutschland geht von circa 28 bis 29 Tagen Gesamturlaub für den durchschnittlichen Beschäftigen aus. Dieser Wert schwankt jedoch zwischen den Bundesländern und abhängig von der jeweiligen Branche. Werden im Arbeitsvertrag keine gesonderten Regelungen für den vertraglichen Urlaub getroffen, wird dieser wie der gesetzliche Urlaubsanspruch behandelt. Der Urlaubsanspruch gilt dabei grundsätzlich für ein Jahr. Das heißt auch, dass der bestehende Urlaub üblicherweise im Laufe eines Kalenderjahres sowohl vom Arbeitgeber gewährt als auch vom Arbeitnehmer genutzt werden sollte.
Der Urlaub ist ein Anspruch auf bezahlte Freizeit, denn er soll der Erholung der Mitarbeiter dienen. Nur wenn der Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden kann, ist der Urlaubsanspruch in Geld auszuzahlen.
Wird der Urlaub nicht im laufenden Jahr genommen, dann droht ein Verfall des Urlaubsanspruchs. Anders sieht dies aus, wenn der Urlaub aus dringenden betrieblichen Gründen oder aus persönlichen Gründen nicht genommen werden konnte. Solche betrieblichen Gründe liegen beispielsweise vor, wenn sich die Auftragslage unvorhergesehen verändert oder ein personeller Engpass droht – im Falle einer Urlaubsgewährung also der reibungslose Ablauf im Betrieb gefährdet ist. Persönliche Gründe liegen demgegenüber vor, wenn zum Beispiel Angehörige erkranken und gepflegt werden müssen oder der Arbeitnehmer, auch kurz vor Urlaubsantritt, erkrankt. In diesen Fällen wird der Urlaub kraft Gesetzes in das nächste Jahr übertragen und muss bis zum 31. März des Folgejahres genommen werden.
Der Verfall von Urlaubsansprüchen geschieht nicht automatisch, vielmehr muss der Arbeitgeber den Mitarbeiter auch in die Lage versetzen, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Um dies nachzuweisen, muss der Arbeitgeber den Mitarbeiter auffordern, den Urlaub zu nehmen und ihn auf den bestehenden (Rest-)Urlaub sowie einen möglichen Verfall hinweisen. Der Arbeitgeber hat insofern also eine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit. Nur wenn er dieser nachkommt, ist ein Verlust der Urlaubsansprüche möglich.
Ist ein Arbeitnehmer das ganze Jahr über erkrankt, dann entsteht auch für das Jahr der Erkrankung ein Urlaubsanspruch. Der Urlaub kann jedoch vom Arbeitnehmer nicht genommen werden. Der Urlaubsanspruch tritt dann zum im neuen Kalenderjahr erworbenen Urlaubsanspruch hinzu und verfällt bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters erst nach 15 Monaten.
Ein Mitarbeiter war seit 2001 bei dem beklagten Arbeitgeber bzw. dessen Rechtsvorgänger als Monteur beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Eigenkündigung des Mitarbeiters zum 31. Dezember 2019. Seit November 2015 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses war der Mitarbeiter arbeitsunfähig erkrankt. Der kalenderjährliche Urlaubsanspruch des Mitarbeiters betrug 30 Tage. Im Jahr 2015 nahm der Mitarbeiter 21 Urlaubstage, in den Jahren 2016 und 2017 keinen Tag. Die notwendige Mitteilung des Arbeitgebers, in der er den Mitarbeiter aufforderte, den Resturlaub zu nehmen und über den ansonsten drohenden Verlust des Anspruchs informierte, gab es jedoch nicht. Mit seiner Klage beabsichtigte der Mitarbeiter daraufhin, die Auszahlung des Urlaubs für die Jahre 2015 bis 2017 gerichtlich durchzusetzen.
Das BAG hat die Ansprüche auf Urlaubsabgeltung für die Jahre 2016 und 2017 abgelehnt. Die Urlaubsansprüche für die Jahre 2016 und 2017 seien im Einklang mit der EuGH Rechtsprechung 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres verfallen. Die Beschränkung der Urlaubsansprüche auf den Übertragungszeitraum von 15 Monaten bestehe auch dann, wenn der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten verletzt. Diese dienten dazu, den Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, den Urlaub zu nehmen. Bei einer Langzeiterkrankung des Mitarbeiters werde die Gewährung von Urlaub jedoch nachträglich, d.h. nach Ablauf des 15-monatigen Zeitraums unmöglich. Nicht die Unterlassung des Arbeitgebers, sondern allein die Krankheit sei in diesem Fall für den Verfall des Urlaubsanspruchs ursächlich.
Für die etwaigen Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2015 hat das BAG die Entscheidung ausgesetzt. Anders als für die Jahre 2016 und 2017 beruhe der Verfall der Urlaubsansprüche für das Jahr 2015 nämlich nicht allein auf der Krankheit. Bereits im Juli 2020 hatte das BAG in einem ähnlich gelagerten Fall (BAG, Beschluss vom 7.7.2020 – 9 AZR 401/19 (A)) den EuGH um Vorabentscheidung über die Frage ersucht, ob das Unionsrecht das Erlöschen des Urlaubsanspruchs bei einer Langzeiterkrankung des Mitarbeiters 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, obwohl der Mitarbeiter den Urlaub bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können.
Die Entscheidung des BAG ist insbesondere aus unternehmenspraktischer Sicht zu begrüßen. Die konsequente Anwendung des 15-monatigen Übertragungszeitraums verhindert das unbegrenzte Ansammeln von Urlaubsansprüchen bei der Langzeiterkrankung eines Mitarbeiters. Sie bietet damit Rechtssicherheit und schützt wohl auch künftig zahlreiche Arbeitgeber vor bösen Überraschungen am Ende eines Arbeitsverhältnisses. Neben dem Ergebnis überzeugt auch die Argumentation des BAG: Die fehlende Möglichkeit zur Gewährung von Urlaub beruht auf der Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters und nicht auf einer Verletzung der arbeitgeberseitigen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten.
In Bezug auf die Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2015 bleibt es bis zu einer Entscheidung durch den EuGH spannend. Begrüßenswert wäre es auch hier, wenn der EuGH dem unbegrenzten Ansammeln von Urlaubsansprüchen einen Riegel vorschieben würde. Eine Tendenz ist bislang jedoch noch nicht erkennbar.
Wichtigster Baustein für Arbeitgeber, um der Ansammlung von Urlaubsansprüchen entgegenzuwirken, bleibt die Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit. So ist es jedem Arbeitgeber zu empfehlen, die Mitarbeiter regelmäßig einmal im Jahr schriftlich über bestehende Urlaubsansprüche aufzuklären, sie zur Inanspruchnahme ihres Urlaubs aufzufordern und ebenso deutlich auf den Verfall ihrer Urlaubsansprüche hinzuweisen.
Gerade im arbeitsintensiven Jahresendgeschäft ist es für viele Arbeitgeber nicht sinnvoll, die Mitarbeiter reihenweise zum Urlaub aufzufordern. Um dies zu vermeiden, bietet es sich an, die Aufforderung bereits frühzeitig im Jahr auszusprechen. Zusätzlich kann den Mitarbeitern auch eine Übertragung des Urlaubsanspruchs für einen kurzen Zeitraum ermöglicht werden. Ein Übertragungszeitraum von 3 Monaten erscheint hier angemessen. Die Mitarbeiter hätten dann 15 Monate Zeit ihren Urlaub zu nehmen. Erst dann tritt der Verfall der Urlaubsansprüche ein.
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