Energy Sharing in Deutschland: Vertragsverletzungsverfahren oder Rettung in letzter Minute?

Bereits am 06.08.2021 hat das Bündnis Bürgerenergie Beschwerde bei der EU-Kommission darüber eingelegt, dass Deutschland die europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie (Renewable Energy Directive „RED II“, welche mittlerweile durch die „RED III“ abgelöst worden ist) nicht rechtzeitig umgesetzt hat. Unter anderem wurde kritisiert, dass Deutschland keine ausreichenden Regelungen zu sog. Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften („EE-Gemeinschaften“) getroffen hat.

 

Die EU-Kommission hat daraufhin ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet und Deutschland im März 2024 wiederholt zur Umsetzung der RED II-Vorschriften in Bezug auf die EE-Gemeinschaften aufgefordert. In der zuletzt erfolgten Stellungnahme der EU-Kommission wurde Deutschland eine Frist von zwei Monaten zur Umsetzung der Richtlinienvorgaben gesetzt; erfolgt dies nicht, kann die Kommission beschließen, den Gerichtshof der Europäischen Union anzurufen. Für uns ist dies Anlass, einen Blick auf diese besondere Form der Nutzung erneuerbarer Energien zu werfen.

Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften

 

Nach Maßgabe der RED II ist eine EE-Gemeinschaft eine Rechtsperson, mit welcher sich Bürgerinnen und Bürger vor Ort sowie lokale Behörden an Projekten im Bereich erneuerbarer Energie beteiligen können (vgl. Art. 2 Nr. 16 RED II; daneben Art. 22 RED II). Damit stellen EE-Gemeinschaften einen erheblichen Mehrwert bezogen auf die Akzeptanz erneuerbarer Energien sowie bezogen auf den Zugang zu zusätzlichem Privatkapital vor Ort dar. Insgesamt soll Bürgerinnen und Bürger damit die Teilhabe an der Energiewende ermöglicht werden.

 

EE-Gemeinschaften sollen berechtigt sein, erneuerbare Energie zu produzieren, zu verbrauchen, zu speichern und zu verkaufen; daneben können Mitglieder die, mit Produktionseinheiten im Eigentum der EE-Gemeinschaft produzierte, erneuerbare Energie auch gemeinsam nutzen. Dies soll jedoch nicht auf die Erwirtschaftung von finanziellen Gewinnen ausgerichtet sein, sondern einen regionalen Mehrwert erzielen, z.B. lokale Umweltvorteile.

 

Den innerhalb einer EE-Gemeinschaft produzierten Strom können sowohl die Rechtsperson der EE-Gemeinschaft selbst als auch deren Mitglieder nutzen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die gemeinsame Nutzung voraussetzt, dass die Mitglieder der EE-Gemeinschaft als Kunden in der Nähe der jeweiligen Projekte angesiedelt sind (Art. 2 Nr. 16 sowie Art. 22 Abs. 2 lit. b) RED II).

 

Die Klima-, Energie- und Umweltbeihilfeleitlinien der Europäischen Kommission sehen daneben eine Ausnahme von der Ausschreibungspflicht für kleine Vorhaben, d.h. solche mit einer installierten Kapazität bzw. Höchstabnahme von bis zu 6 / 18 MW, von EE-Gemeinschaften vor.

 

Daneben haben die Mitgliedstaaten einen Regulierungsrahmen für EE-Gemeinschaften zu schaffen und dabei faire, verhältnismäßige und transparente Verfahren und kostenorientierte Netzentgelte sowie einschlägige Umlagen, Abgaben und Steuern vorzusehen (vgl. Art. 22 Abs. 4 lit. d) RED II).

 

 

Aktuelle Rechtslage in Deutschland: Bürgerenergiegesellschaften

 

Dieser Zielsetzung entspricht auf deutscher Ebene am ehesten die Bürgerenergiegesellschaft (vgl. § 3 Nr. 15 EEG 2023). Deren Ziel ist es, lokale Akteure zu adressieren und ein hohes Maß an Akteursvielfalt zu wahren, die lokale Akzeptanz zu steigern und die lokale Wertschöpfung zu sichern. Nach § 3 Nr. 15 EEG 2023 setzt das Vorliegen von Bürgerenergiegesellschaften dabei voraus:

 

  • die Genossenschaft / Gesellschaft muss aus mindestens 50 natürlichen Personen als stimmberechtigten Mitgliedern oder stimmberechtigten Anteilseignern bestehen, § 3 Nr. 15 lit. a) EEG 2023,
  • es müssen mindestens 75 % der Stimmrechte bei natürlichen Personen liegen, die in einem Postleitzahlengebiet, das sich ganz oder teilweise im Umkreis von 50 km um die geplante Anlage befindet, nach dem Bundesmeldegesetz mit einer Wohnung gemeldet sein, § 3 Nr. 15 lit. b) EEG 2023,
  • bei Genossenschaften/ Gesellschaften, bei denen die Stimmrechte, die nicht bei natürlichen Personen liegen, dürfen diese ausschließlich bei Kleinstunternehmen, kleinen oder mittleren Unternehmen oder bei kommunalen Gebietskörperschaften sowie deren rechtsfähigen Zusammenschlüssen liegen, § 3 Nr. 15 lit. c) EEG 2023,
  • es darf kein Mitglied oder Anteilseigner der Gesellschaft mehr als 10 % der Stimmrechte an der Gesellschaft halten, § 3 Nr. 15 lit. d) EEG 2023.

 

Wie auf EU-Ebene auch, sieht das EEG 2023 Bereichsausnahmen von Ausschreibungen für kleine Vorhaben einzelner Energieträger von Bürgerenergiegesellschaften vor (vgl. § 22 EEG 2023). Davon erfasst werden Windenergieanlagen an Land mit einer installierten Leistung bis einschließlich 18 MW sowie Solaranlagen mit einer installierten Leistung bis einschließlich 6 MW.

Zu beachten ist, dass das Vorliegen der o.g. Kriterien für das Vorliegen einer Bürgerenergiegesellschaft im Projektverlauf mehrfach überprüft wird. Können die Kriterien zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme und danach alle fünf Jahre gegenüber dem Netzbetreiber nicht nachgewiesen werden, führt dies zu einem Entfallen des gesetzlichen Förderanspruchs (§ 22 Abs. 4 EEG 2023).

 

 

Drohender Flickenteppich in Deutschland

 

Nach § 22b Abs. 6 EEG 2023 können die Länder weitergehende Bestimmungen zur Bürgerbeteiligung und zur Steigerung der Akzeptanz für den Bau von neuen Anlagen erlassen. Vor diesem Hintergrund wurde in NRW etwa das „Gesetz über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an der Windenergienutzung“, kurz das Bürgerenergiegesetz NRW verabschiedet. Ziel ist es, Einwohnerinnen und Einwohner sowie Gemeinden an Bau und Betrieb von neuen Windenergieanlagen finanziell zu beteiligen (vgl. § 1 BürgEnG). Dies deckt sich mit den Vorgaben des EEG 2023.

 

Die Besonderheit des Landesgesetzes besteht darin, dass der Vorhabenträger verpflichtet ist, der Standortgemeinde ein Angebot zur finanziellen Beteiligung der beteiligungsberechtigten Personen sowie der beteiligungsberechtigten Gemeinden am Ertrag des Vorhabens zu machen; sodann haben der Vorhabenträger und die Standortgemeinden Verhandlungen zu führen mit dem Ziel, sich auf eine gemeinsame Beteiligungsvereinbarung für das Vorhaben zu einigen (vgl. § 7 BürgEnG).

 

Auch in anderen Bundesländern gibt es bereits laufende Gesetzgebungsverfahren zur Bürgerbeteiligung an Windparks wie etwa in Thüringen oder in Niedersachsen zur Bürgerbeteiligung am wirtschaftlichen Ertrag von Windenergieanlagen und Freiflächen-Photovoltaikanlagen. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es mit dem Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz bereits seit 2016 ein entsprechendes Gesetz.

 

So innovativ die Gesetzgebungen der Länder, wie etwa der Ansatz in NRW, auch sein mögen, so ist dennoch zu bezweifeln, dass mit an Ländergrenzen gekoppelten Regelungen die gewollten Anreize geschaffen werden und nicht vielmehr drohende Rechtsunsicherheit geschürt wird.

 

 

Fehlende Privilegierung von Bürgerenergiegesellschaften in Deutschland

 

Der deutsche Rechtsrahmen sieht für Energy Sharing in oder durch Bürgerenergiegesellschaften neben den Vorgaben im EEG 2023 keinerlei Sonderregelungen vor; wollen Personen also Energie gemeinsam erzeugen und gemeinsam nutzen, müssen sie sich so behandeln lassen wie jeder andere Teilnehmende am Strommarkt auch.

 

Demnach sind Bürgerenergiegesellschaften wie reguläre Energieversorgungsunternehmen zu behandeln, müssen also auch die damit zusammenhängenden komplexen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Belieferung ihrer Mitglieder erfüllen. Dies betrifft beispielsweise nicht nur die Anzeigepflicht nach § 5 EnWG, sondern auch die Pflichten nach den §§ 40 ff. EnWG, welche Vorgaben zur Rechnungs- und Vertragsgestaltung enthalten. Auch stromsteuerrechtlich gelten insoweit keine Besonderheiten gegenüber den üblichen „Versorgern“. Dass vor diesem Hintergrund praktisch kaum Anreize für die Gründung einer Bürgerenergiegesellschaft bestehen, dürfte auf der Hand liegen.

 

 

Ausblick und Fazit

 

Das EU-Recht sieht bezogen auf EE-Gemeinschaften zwar vor, dass deren Mitglieder den von der Gemeinschaft erzeugten Strom gemeinsam nutzen können; eine finanzielle Förderung der EE-Gemeinschaft sowie etwaige Ausnahmen von energiewirtschaftlichen Verpflichtungen bei Stromlieferungen sieht das EU-Recht aber gerade nicht vor. Bezogen auf das Vertragsverletzungsverfahren dürfte dies bedeuten, dass mit den im deutschen Recht vorgesehenen Bürgerenergiegesellschaften ein richtiger Schritt zur Umsetzung der RED II-Vorschriften getan worden ist. Es darf aber bezweifelt werden, ob dies bereits ausreicht, um die Entwicklung von EE-Gemeinschaften – wie von der RED II in Art. 22 Abs. 4 gefordert – zu unterstützen und voranzubringen.

 

Zwar werden Bürgerenergiegesellschaften bei der Nutzung des erzeugten Stroms nicht schlechter gestellt als „klassische“ Energieversorgungsunternehmen. Aber eben auch nicht besser. Insoweit sei nur auf die umfassenden bürokratischen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Abwicklung und Abrechnung von Stromlieferungen verwiesen, die Bürgerenergiegesellschaften regelmäßig überfordern.

 

Die geplante „Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung“ (vgl. § 42b EnWG n.F.), die im Rahmen des noch immer im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Solarpakets I eingeführt werden soll, stellt insoweit einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar. Hierdurch sollen Vermieterinnen und Vermieter oder sonstige Dritte für die Mietparteien innerhalb eines Gebäudes Strom aus solarer Strahlungsenergie ohne großen Bürokratieaufwand bereitstellen können. Insbesondere sieht der neue § 42b in Abs. 4 EnWG Befreiungen von einzelnen Vorgaben für Energielieferverträge vor. So werden u.a. die Lieferantenpflichten gemäß §§ 40 ff. EnWG weitestgehend ausgeschlossen. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass das Modell damit dem Anliegen der RED-II, „Anreize für dezentrale Teilhabemodelle zu schaffen und unverhältnismäßige Hindernisse zu beseitigen“, Rechnung tragen soll.

 

Ob der Gesetzgeber darauffolgend noch weitere Erleichterungen für dezentrale Versorgungskonzepte umsetzt, darf allerdings aus heutiger Sich bezweifelt werden. Auch durch die Vorgaben der mittlerweile geltenden RED III-Verordnung sind keine grundlegenden Änderungen mehr zu erwarten. Vielmehr richten sich die Vorgaben der RED III nur sehr generell darauf, dass die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen ergreifen sollten, um die Beteiligung lokaler Gemeinschaften an Projekten im Bereich Energie aus erneuerbaren Quellen zu fördern. Dass dies künftig auch die Beteiligung von EE-Gemeinschaften an Projekten im Bereich der Offshore-Energie erfasst, sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Der lokalen Energiewende „vor Ort“ kann damit aber wohl nicht geholfen werden.

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