Der Bundesgerichtshof hat bekannt gegeben, dass am 26. Januar 2022, 9:00 Uhr erstmals ein Fall zu der Thematik Betriebsschließungsversicherungen und Covid-19 vor dem unter anderem für das Versicherungsvertragsrecht zuständigen IV. Zivilsenat verhandelt wird.
Die Frage an die Bundesrichter im Verhandlungstermin: Stehen einem Versicherungsnehmer Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen einer im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erfolgten Schließung der von ihm betriebenen Gaststätte in Schleswig-Holstein zu?
Insbesondere bei Versicherungsnehmern, welche durch die Covid-19-Pandemie infolge Corona-bedingter Umsatzeinbußen in existenzbedrohende Situationen geraten sind, wird nun mit Spannung erwartet, ob der Bundesgerichtshof i. zugunsten des Versicherungsnehmers entscheiden wird und ii. darüber hinaus auch allgemeine rechtliche Hinweise erteilen wird, welche auf andere Fallkonstellationen mit anderen Versicherungsbedingungen übertragbar sind.
In dem vor dem BGH zu verhandelnden Fall liegen dem Versicherungsvertrag die „Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) – 2008 (ZBSV 08)“ zugrunde. Diese Versicherungsbedingungen können als „Standardbedingungen“ bezeichnet werden, welche in einer Vielzahl von Klageverfahren streitgegenständlich sind.
Das Landgericht Lübeck (erstinstanzlich mit Urteil vom 8. Januar 2021 – 4 O 164/20) und Oberlandesgericht Schleswig (Berufungsinstanz mit Urteil vom 10. Mai 2021 – 16 U 25/21) haben sich auf die Seite der Versicherer geschlagen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts setze § 2 Nr. 1 Buchst. a ZBSV 08 eine konkrete, einzelfallbezogene Maßnahme zur Bekämpfung einer gerade aus dem konkreten Betrieb erwachsenden Infektionsgefahr – woran es hier fehle – voraus (sog. intrinsische Gefahr). Unabhängig davon greife die Betriebsschließungsversicherung auch deshalb nicht ein, weil das Coronavirus von § 2 Nr. 2 ZBSV 08 nicht erfasst werde. Ein verständiger Versicherungsnehmer werde die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger aufgrund des eindeutigen Wortlauts mit dem Begriff „folgenden“ abschließend verstehen.
Mit Ausnahme des 12. Versicherungssenats des Oberlandesgericht Karlsruhe haben alle anderen Oberlandesgerichte, welche sich bislang mit der Thematik Betriebsschließungsversicherungen während der Covid-19-Pandemie befasst haben, einen Versicherungsfall abgelehnt. Die Entscheidung des OLG Schleswig ist somit kein Einzelfall.
Interessant dürfte jedoch sein, dass gerade bei der Frage, ob eine intrinsische Gefahr vorliegen muss, sich in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung eine Tendenz dahingehend entwickelt, dass es einer solchen Gefahr nicht bedarf. Es reiche aus, dass die behördliche Maßnahme lediglich aufgrund des IfSG erlassen worden sei (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. vom 30. Juni 2021 – 12 U 4/21; OLG Karlsruhe, Urt. vom 5. Oktober 2021 – 12 U 107/21; OLG Dresden (4. Zivilsenat), Urteil vom 13.07.2021 – 4 U 287/21; OLG Celle, Urt. vom 18. November 2021 – 8 U 123/21; OLG Hamm, Urteil vom 19. November 2021 – 20 U 39/21; OLG Nürnberg, Urteil vom 15. November 2021 – 8 U 322/21). Dies kommt somit den Versicherungsnehmern zugute.
Ferner hat sich das OLG Schleswig nicht mit der umstrittenen Thematik „Transparenzgebot“ (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) auseinandergesetzt. Es hat lediglich in einem Satz am Ende der Entscheidung ohne nähere Begründung ausgeführt, dass sich die Frage der AGB-rechtlichen Unwirksamkeit nicht stelle. Doch dies vermag nicht zu überzeugen. Wenn das hier streitgegenständliche Klauselwerk noch zusätzlich mehrfach auf das IfSG (und damit eben auch auf die Generalklauseln in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 IfSG und § 7 Abs. 2 S. 1 IfSG) verweist, vermittelt dies doch den Versicherungsnehmern gerade den Eindruck, der Versicherungsschutz orientiere sich an den Voraussetzungen für eine Betriebsschließung nach dem IfSG. In zutreffender Wertung des OLG Karlsruhe zu einem vergleichbaren Klauselwerk (auch dort mehrfache Bezugnahme auf das IfSG), ist ein derartiger „abschließender Katalog“ nicht hinreichend klar und verständlich und deshalb wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam.
Ob sich der BGH zu der Thematik „Transparenzgebot“ äußern wird, bleibt abzuwarten. Es wäre zumindest wünschenswert, um in dieser umstrittenen Rechtsfrage endlich mehr Klarheit zu schaffen.
Wünschenswert wäre es auch, wenn sich der BGH zu der Frage positioniert, ob sogenannte faktische Betriebsschließungen dem Versicherungsschutz unterfallen. Hierbei ist dem Versicherungsnehmer die Öffnung seines Betriebs zwar rein theoretisch noch möglich (z.B. Beherbergung von Geschäftsreisenden; Außerhausverkauf), das ihm noch erlaubte Geschäft stellt jedoch eine derart untergeordnete Rolle dar, sodass ein verbleibender, verschwindend geringer Umsatz wie eine faktische Schließung wirkt.
Der Verhandlungstermin am 26. Januar 2022 wird jedenfalls mit Spannung erwartet. Nicht wenige Versicherungsnehmer haben sich dazu entschieden, den Klageweg zu beschreiten und auch den Schritt gewagt, im Falle des erstinstanzlichen Unterliegens in die Berufungsinstanz zu ziehen. Für Versicherungsnehmer, welche sich aktuell noch mit der Frage befassen, ob Klage erhoben werden soll, dürfte die Entscheidung des BGH vor dem Hintergrund etwaiger Verjährungsrisken von gleicher Bedeutung sein. Ob der BGH unmittelbar am 26. Januar 2022 eine Entscheidung trifft, dürfte eher unwahrscheinlich sein. Wahrscheinlicher ist es, dass der BGH ein rechtliches Statement abgeben wird, wie er den Rechtsstreit entscheiden wird. Denkbar ist es auch, dass die Bundesrichter in Karlsruhe den Rechtsstreit an das OLG Schleswig zurückverweisen, wenn das Berufungsgericht noch offene Fragen zum Sachverhalt zu klären hat. Im Sinne einer richtungsweisenden Verhandlung auch für andere Klageverfahren ist zu hoffen, dass der BGH zu den grundsätzlichen Rechtsfragen („intrinsische Gefahr“; abschließender Katalog; Transparenzgebot; faktische Betriebsschließung) eine „Segelanweisung“ gibt.
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