Der Bundestag wird diesen Monat beschließen, dass die bis 30. September vorgesehene Aussetzung der Insolvenzantrags-Pflicht bis zum 31. Dezember 2020 verlängert wird – allerdings nur für die Überschuldung. Für zahlungsunfähige Unternehmen gilt dagegen ab 1. Oktober 2020 wieder altes Recht: Bei bestehender oder eintretender Zahlungsunfähigkeit ist binnen einer Höchstfrist von drei Wochen Insolvenzantrag zu stellen.
Der Gesetzgeber gibt damit insolvenzgefährdeten Unternehmen, die aufgrund von SARS-CoV-2 überschuldet, aber zahlungsfähig sind, nochmal bis Jahresende Zeit. Unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfsangebote und im Rahmen außergerichtlicher Verhandlungen haben diese die Möglichkeit, sich zu sanieren und zu finanzieren, um damit eine anderenfalls drohende Insolvenz im neuen Jahr abzuwenden. Was bedeutet das und für wen tickt jetzt die Uhr?
Rückblick: Gesetz wurde Ende März beschlossen
Am 27. März 2020 hatte der Bundestag das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ (COVInsAG) beschlossen. Durch § 1 COVInsAG wurde die in § 15a InsO geregelte Pflicht, bei Eintritt von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit binnen einer Höchstfrist von drei Wochen Insolvenzantrag zu stellen, rückwirkend ab 1. März 2020 bis zum 30. September 2020 ausgesetzt.
Wann ist bislang die Insolvenzantrags-Pflicht ausgesetzt?
Die Aussetzung der Insolvenzantrags-Pflicht seit 1. März 2020 hat zwei Ausnahmen: Die Aussetzung gilt nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung der Covid-19-Pandemie beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.
Ist die Insolvenzsituation des Unternehmens also nicht pandemiebedingt oder erscheint eine Sanierung aussichtslos, besteht bereits jetzt eine Pflicht zur unverzüglichen Insolvenzantragstellung. Folglich bedeutete die gesetzliche Aussetzung schon bislang keinen „Freibrief“ für Unternehmen und Unternehmer.
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Aussetzung der Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife
Während der Aussetzung bis zum 30. September 2020 verstoßen zudem Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang, insbesondere solche, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, nicht gegen das sog. Zahlungsverbot in § 64 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG, §§ 130a, 177a HGB und in § 99 GenG. Nach normalem Recht haftete jeder Geschäftsleiter von GmbH, AG, KG, GmbH & Co. KG oder Genossenschaft für solche Zahlungen nach Insolvenzreife persönlich mit seinem Vermögen.
Einschränkungen der Insolvenzanfechtung
Weiter ergeben sich aus dem COVInsAG umfassende Einschränkungen der Insolvenzanfechtung. Diese dienen dem Schutz von Darlehensgebern und damit mittelbar der Erleichterung der (Re-)Finanzierung von Krisenunternehmen. So ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG die bis zum 30. September 2023 erfolgende Tilgung eines während der Zeit der Aussetzung gewährten neuen Kredits der Anfechtung entzogen.
Gleiches gilt für die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten für Kredite der vorgenannten Art. Das Gleiche gilt für die Rückgewähr, aber nicht für die Besicherung von Gesellschafterdarlehen sowie für Zahlungen auf Forderungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen.
Für Kredite, die von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und ihren Finanzierungspartnern oder von anderen Institutionen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme anlässlich der COVID-19-Pandemie gewährt werden, gelten die obigen Einschränkungen selbst dann, wenn der Kredit erst nach dem Ende des Aussetzungszeitraums gewährt oder besichert wird.
Erleichterungen für Darlehensgeber
Neben der Einschränkung der Insolvenzanfechtung bringt das COVInsAG weitere Erleichterungen für Darlehensgeber: So tritt gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG für Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen der in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO angeordnete insolvenzrechtliche Nachrang solcher Forderungen nicht ein, wenn das Darlehen im Aussetzungszeitraum gewährt und der Insolvenzantrag bis zum 30. September 2023 gestellt wurde.
Unter den vorgenannten Voraussetzungen werden somit Gesellschafterdarlehen im Insolvenzverfahren einer Fremdfinanzierung im Wesentlichen gleichgestellt, was ebenfalls die (Re-)Finanzierung von Krisenunternehmen durch die Gesellschafter erleichtern soll.
Alles, was Recht ist
Ab wann gilt jetzt wieder die Insolvenzantrags-Pflicht?
Mit dem neuen Gesetz zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes wird nun die Aussetzung der Insolvenzantrags-Pflicht allein wegen Überschuldung bis zum 31. Dezember 2020 verlängert. Wer überschuldet, aber zahlungsfähig ist, muss weiterhin keinen Insolvenzantrag stellen. In dieser Zeit ist auch die persönliche Haftung des Geschäftsleiters für Zahlungen nach Überschuldung weiter ausgesetzt. Ebenso gelten die oben dargelegten Einschränkungen der Insolvenzanfechtung und die Erleichterungen für Darlehensgeber weiter.
Dagegen sind ab 1. Oktober 2020 alle zahlungsunfähigen Unternehmen wieder zur unverzüglichen Insolvenzantrag-Stellung verpflichtet. Hier gelten auch wieder die allgemeinen Haftungs- und Anfechtungsregeln. Das gilt selbst dann, wenn sie bis Ende September nicht antragspflichtig waren, weil ihre Insolvenzreife auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruhte und Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestanden.
Wer also nicht mehr in der Lage ist, seine laufenden Kosten und Verbindlichkeiten zu decken, soll Insolvenzantrag stellen. Die weitere Aussetzung der Insolvenzantrags-Pflicht gilt jedoch nur noch bis zum 31. Dezember 2020. Das heißt, ab 1. Januar 2021 werden auch alle Unternehmen, die bis dahin ihre Überschuldung nicht beseitigen konnten, sprich deren Fortführungsprognose weiterhin negativ ist, ebenfalls insolvenzantragspflichtig.
Für wen gilt die Insolvenzantrags-Pflicht?
Die nunmehr wieder relevant werdende Insolvenzantrags-Pflicht (§ 15a InsO) gilt für alle Geschäftsleiter juristischer Personen, wie z.B. GmbH, AG, Genossenschaft und auch GmbH & Co. KG gleichermaßen. Diese haben bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung unverzüglich, spätestens aber innerhalb einer Höchstfrist von drei Wochen Insolvenzantrag zu stellen. Das heißt, jeder Geschäftsleiter hat also nur maximal 21 Tage Zeit, eine etwaige Liquiditätslücke zu schließen.
Die gesetzliche Pflicht ist auch dann zu beachten, wenn Gesellschafter die Weisung erteilen sollten, keinen Antrag zu stellen. Dabei ist zu beachten, dass die Geschäftsleiter generell dazu verpflichtet sind, bei Anzeichen einer Krise einen Zahlungsunfähigkeitsstatus/Überschuldungsstatus aufzustellen und diesen fortlaufend zu prüfen/aktualisieren. Anzeichen für eine Krise können etwa sein:
Löhne/Gehälter, Steuern, Sozialversicherungsbeiträge oder Mieten werden über einen längeren Zeitraum nicht fristgerecht gezahlt;
Zahlungsziele werden nicht eingehalten;
Ratenzahlungen und Stundungen werden häufiger in Anspruch genommen;
Darlehen/Kredite können nicht fristgerecht bedient werden.
Sollten mehrere der vorgenannten Anzeichen gleichzeitig auftreten, sollte schnellstmöglich ein Zahlungsunfähigkeitsstatus/ Überschuldungsstatus aufgestellt werden. Ab 1. Oktober 2020 wäre dies bei Zahlungsunfähigkeit und ab 1. Januar 2021 bei Überschuldung zwingend zu empfehlen, um Vorsatz und damit eine persönliche Haftung des Geschäftsleiters auszuschließen
Persönliche Haftung bei Insolvenzverschleppung
Denn stellt ein Geschäftsleiter einen Insolvenzantrag gar nicht oder verspätet, obwohl er gesetzlich dazu verpflichtet war, gibt es regelmäßig ein „böses Erwachen“: Jeder Geschäftsleiter kann in einem späteren Insolvenzverfahren persönlich in Haftung genommen werden für alle Zahlungen, die von seinem Unternehmen noch nach Eintritt der Insolvenzreife, also nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit (ab 1. Oktober 2020) oder Überschuldung (ab 1. Januar 2021) geleistet werden (z.B. nach § 64 GmbHG).
Das kann mitunter existenzbedrohende Ausmaße annehmen, je nachdem für welchen zurückliegenden Zeitraum der Insolvenzverwalter Insolvenzreife bejaht. Wichtig ist hier auch der Hinweis, dass mittlerweile die sog. D&O-Versicherungen regelmäßig nicht mehr solche Haftungsansprüche wegen Zahlungen nach Insolvenzreife abdecken; jeder Geschäftsleiter sollte daher die aktuelle Police überprüfen.
Strafrechtliche Ermittlungen im Falle einer verspäteten Antragstellung sind ebenfalls regelmäßige Folge einer verspäteten Antragstellung, etwa wegen Insolvenzverschleppung nach § 15a InsO, Bankrott gemäß §§ 283 ff. StGB oder wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelten nach § 266a StGB. Wer noch Waren oder Dienstleistungen bestellt, obwohl er weiß, dass er diese bei Fälligkeit nicht bezahlen kann, begeht regelmäßig einen Eingehungsbetrug nach § 263 StGB. Dies gilt es insgesamt frühzeitig zu verhindern.
Wie kann Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung beseitigt werden?
Krisenunternehmen haben die Möglichkeit, unter Inanspruchnahme vor allem staatlicher Unterstützungsleistungen sowie im Rahmen außergerichtlicher Verhandlungen mit Gläubigern wie Vermietern, Banken und Lieferanten die vorgenannte Insolvenzantrags-Pflicht zu verhindern bzw. wieder zu beseitigen. Je früher sie damit beginnen, desto größer sind die Erfolgsaussichten. Bekannteste Beispiele sind
das Kurzarbeitergeld (KUG)
diverse Förder- und Überbrückungskredite der Landesbanken
Soforthilfe-Programme
Stundungsmöglichkeiten bei Mieten, Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen
Kreditzusagen Dritter oder der Gesellschafter
Stundungen und Ratenzahlungsvereinbarungen bei sonstigen Verbindlichkeiten
Rangrücktrittserklärungen bei Gesellschafterdarlehen, Patronatserklärungen
strikte Überwachung des eigenen Forderungseinzugs, ggfs. zukünftige Verkürzung der Zahlungsziele bzw. Umstellung auf Vorkasse zwecks kurzfristiger Liquiditätsgewinnung.
Gegebenenfalls ist auch das bisherige Geschäftsmodell auf den Prüfstand zu stellen und anzupassen, um mit Hilfe der Finanzierungs-Leistungen des Staates, von Banken, den Gläubigern und Lieferanten sowie den Gesellschaftern den Turnaround zu schaffen. Viele Investoren prüfen derzeit auch den Einstieg in solche Unternehmen.
Eigenverwaltung oder übertragende Sanierung
Selbst ein Insolvenzantrag muss nicht das Ende für das Unternehmen bedeuten. Das Unternehmen kann sich zum einen selbst sanieren: Denn seit 1. März 2012 bietet die Insolvenzordnung jedem Unternehmen die Möglichkeit, unter gerichtlicher Aufsicht einen Sanierungsplan zu erstellen, der anschließend in Abstimmung mit den Gläubigern umgesetzt werden kann.
Gleichzeitig wird das Unternehmen für den Zeitraum der Sanierung dem unmittelbaren Zugriff seiner Gläubiger entzogen, etwaige Vollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern und Behörden werden eingestellt/ausgesetzt. Ein Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) kommt bereits dann in Betracht, wenn lediglich Überschuldung oder drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt.
Die Eigenverwaltung (§ 270a InsO) ist auch bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung möglich. Ein Verfahren dauert erfahrungsgemäß sechs bis zehn Monate und ist in allen Branchen sowie bei Unternehmen aller Art und Größe durchführbar, und es hat besondere Sanierungs-/Liquiditätseffekte:
Das Unternehmen hat im Rahmen des Schutzschirmverfahrens/der Eigenverwaltung die Möglichkeit, sich von Altverbindlichkeiten (z.B. Darlehen/Krediten oder gestundeten Forderungen) mithilfe eines Sanierungsplans nahezu vollständig zu lösen. Forderungsverzichte von mehr als 90 Prozent sind bei den Gläubigern regelmäßig zu erreichen. Dadurch wird die Bilanz saniert;
Löhne/Gehälter müssen für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten vom Unternehmen nicht bezahlt werden, was regelmäßig einen sehr großen Liquiditätseffekt zur Folge hat;
Langjährige Dauerschuldverhältnisse (z.B. Miet- und Leasingverträge) können mit kurzen Fristen gekündigt werden;
Steuern (Umsatzsteuer, Lohnsteuer) und Sozialversicherungsbeiträge müssen in einem Zeitraum von mehreren Monaten nicht abgeführt werden;
Die Geschäftsleitung bleibt während des gesamten Sanierungsverfahrens im Amt und kann die Sanierung des Unternehmens, zusammen mit den Beratern, selbst (mit-)gestalten;
Gesellschaftsrechtliche Regelungen jeglicher Art (z.B. Verkäufe von Geschäftsanteilen, Share Deals/Asset Deals), können bei Bedarf im Rahmen des Sanierungsplans vereinfacht umgesetzt werden;
Umstrukturierungen im Personalbereich sind unter vereinfachten Bedingungen möglich;
Banken, Lieferanten, Behörden und sonstige Gläubiger werden in das Schutzschirm-/Sanierungsverfahren regelmäßig eng eingebunden und sind oft zu Forderungsverzichten bereit;
Die gesamten Verfahrens- und Beratungskosten können aufgrund der vorgenannten Liquiditätseffekte vom Unternehmen getragen werden.
Wird stattdessen ein Regelinsolvenzverfahren eingeleitet, bestellt das Insolvenzgericht einen Insolvenzverwalter. Dieser wird versuchen, den Geschäftsbetrieb samt Mitarbeiter an einen Investor veräußern (sog. übertragende Sanierung). Der Verkauf erfolgt als „Asset Deal“ ohne die Schulden. Investoren haben auf diese Weise die Möglichkeit, kostengünstig und nach vom Insolvenzverwalter vorgenommenen Personal- und Kostenmaßnahmen ein saniertes Unternehmen zu übernehmen.
Empfehlung für die Praxis
Jeder Geschäftsleiter kriselnder oder insolvenzgefährdeter Unternehmen sollte in der aktuellen Situation sofort einen Finanzplan aufstellen, um festzustellen, ob Zahlungsunfähigkeit besteht oder ab 1. Oktober 2020 eintreten könnte. Zudem sollte er unverzüglich anhand der Auftragseingänge, Umsätze und geplanten Maßnahmen eine möglichst belastbare Fortführungsprognose mit Ergebnis- und Liquiditätsplanung aufstellen, um festzustellen, ob Überschuldung besteht oder ab 1. Januar 2021 eintreten könnte.
Sofern Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt oder drohen sollte, sind sofort Sanierungsoptionen zu prüfen. Die Prognose ist gegen Jahresende zu wiederholen.
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