Untersuchungs- und Sanierungsanordnungen zur Abwehr von Gefahren durch Altlasten und schädlichen Bodenveränderungen stellen die zuständigen Behörden stets vor die Frage, welche Verantwortlichen für eine Inanspruchnahme in Betracht kommen und welche potentiell Pflichtigen tatsächlich in Anspruch zu nehmen sind.
Im folgenden Fachbeitrag erläutert Volker Hoffmann, Rechtsanwalt und Partner, die mit der Störerauswahl oftmals verbundenen Problemstellungen und praktischen Hürden, skizziert jedoch auch Lösungsansätze für ein rechtssicheres Handeln im Bedarfsfall.
I. Problemaufriss
Untersuchungs- und Sanierungsanordnungen zur Abwehr von Gefahren durch Altlasten und schädlichen Bodenveränderungen stellen die zuständigen Behörden stets vor die Frage, welche Verantwortlichen für eine Inanspruchnahme in Betracht kommen und welche potentiell Pflichtigen tatsächlich in Anspruch zu nehmen sind. Die anwaltliche Praxis zeigt immer wieder, dass die entsprechende Störerauswahl den Behörden regelmäßig erhebliche Schwierigkeiten bereitet, da der Weg zu einer rechtsfehlerfreien Auswahlentscheidung eine Vielzahl von Fehlerquellen bereithält und von rechtlichen Unsicherheiten gesäumt ist. Umgekehrt bietet dieses Fehlerpotential oftmals auch ein wirkungsvolles Einfallstor, um zugunsten des Verpflichteten gegen eine ihn belastende Ordnungsverfügung vorzugehen.
II. Ausgangspunkt: Die bodenschutzrechtlich Verpflichteten
Ausgangspunkt der Störerauswahl sind die in § 4 BBodSchG genannten sieben Verpflichteten. Hierbei handelt es sich um 1.) den Verursacher, 2.) den Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers, 3.) den Grundstückseigentümer, 4.) den Inhaber der tatsächlichen Gewalt, 5.) den aus handels- oder gesellschaftsrechtlichem Grund für eine juristische Person Haftenden, 6.) den Derelinquent sowie 7.) den früheren Grundstückseigentümer (verlängerte Zustandsstörer Haftung unter bestimmten Voraussetzungen).
III. Grundlagen des Auswahlermessens
Für das Auswahlermessens ganz grundlegend und entscheidend ist die Beachtung des Gebots der „Effektivität der Gefahrenabwehr“. Wer kann also der von der Altlast ausgehenden Gefahr am besten bzw. am schnellsten und am sichersten begegnen? Wesentliche Kriterien bzw. Entscheidungsgesichtspunkte sind in diesem Zusammenhang:
möglichst einfaches und endgültiges Erreichen des gewünschten Erfolges
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
persönliche Leistungsfähigkeit
örtliche Schadensnähe
Grad von Nachteilen für den Maßnahmeadressaten
gegebenenfalls Anteil an der Verursachung (untergeordnete Anwendung des Verursacherprinzips) sowie
allgemeine Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Angemessenheit
Zwischen den verschiedenen Verpflichteten gibt es keine Rangfolge, alle Verpflichteten sind im Ausgangspunkt gleichrangig. Insbesondere gibt es keinen Vorrang der Inanspruchnahme des Handlungsstörers vor einem Zustandsstörer. Der Zustandsstörer, also insbesondere der Grundstückseigentümer, ist demnach nicht als nur stets nachrangig Haftender anzusehen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Störereigenschaft verschuldensunabhängig ist. Ein etwaiges Verschulden spielt bei der Störerauswahl also grundsätzlich keine Rolle, sondern kann allenfalls sehr nachgelagert auf der zweiten Ebene bei gleicher Effektivität ein gewisses Abwägungskriterium darstellen.
Hohe Anforderungen sind zu stellen an die behördliche Sachverhaltsaufklärung zur Störerauswahl. Dies bedeutet, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt – einschließlich aller in Betracht kommenden Störer und ihrer jeweiligen Verantwortlichkeit sowie deren jeweiligen Möglichkeiten zur Untersuchung bzw. Sanierung der Altlast – zum einen ausreichend und zutreffend ermittelt sowie zum anderen anschließend auch zur Grundlage der Störerauswahl gemacht werden muss. Insofern muss ein angemessener unzumutbarer Verwaltungsaufwand betrieben werden. Die Beweislast für das (Nicht-)Vorliegen der Voraussetzungen einer Inanspruchnahme trägt in diesem Zusammenhang die Behörde. Demnach gibt es zwei Stufen bei der Auswahlentscheidung: 1.) Die umfassende Sachverhaltsaufklärung samt einer zutreffenden Einschätzung der Rechtslage sowie 2.) die Nutzung und Berücksichtigung der erzielten Ergebnisse, also des aufgeklärten Sachverhalts, bei der Ermessensausübung zur Störerauswahl. Gemäß dem Bundesverwaltungsgericht ist es insoweit zulässig, diejenige Person heranzuziehen, die zweifelsfrei als Störer feststeht bzw. umgekehrt solche Personen nicht in Anspruch zu nehmen, deren Störereigenschaft unsicher ist oder deren Störerhaftung erst nach langwierigen rechtlichen Auseinandersetzungen mit ungewissem Ausgang bestimmt werden könnte. Dies geht regelmäßig zulasten des Zustandsstörers und zum Vorteil vermeintlicher Handlungsstörer.
Dabei sind in die Ermessenserwägungen zur Störerauswahl alle Gesichtspunkte einzustellen, die für die Entscheidung wesentlich sind. Dies ist dann auch umfänglich und nachvollziehbar zu dokumentieren.
IV. Besonderheiten zum Handlungsstörer
Bezüglich der Verursacherhaftung ist eine wertende Zurechnung anhand der Theorie der unmittelbaren Verursachung vorzunehmen. D.h., es ist derjenige Verhaltensstörer, der bei wertender Betrachtung und unter Einbeziehung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls durch seinen Beitrag die Gefahrenschwelle überschritten hat und dadurch die unmittelbare Ursache für den Eintritt der Gefahr gesetzt hat. Dadurch ist sicherzustellen, dass keine konturenlose Gefährdungshaftung für jegliche Folgen gewerblicher oder sonstiger Tätigkeit erfolgt.
Vor diesem Hintergrund kann sich auch eine persönliche Verursacherhaftung eines Geschäftsführers im Außenverhältnis – zusätzlich zu bzw. neben der Gesellschaft, für die er als Organ gehandelt hat – ergeben. Dann sind beide Pflichtigen – also die Gesellschaft und der für sie handelnde Geschäftsführer – in die Ermessensentscheidung zur Störerauswahl einzubeziehen.
Generell gilt bei der Auswahl eines Handlungsstörers, dass dessen Verursachungsbeitrag grundsätzlich feststehen muss. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung, im Sinne eines Verdachtsstörers, ist nicht ausreichend.
V. Besonderheiten zum Zustandsstörer
Innerhalb der Gruppe der Zustandsstörer sind insbesondere folgende Personengruppen mit ihren jeweiligen Besonderheiten zu beachten und zu berücksichtigen:
der Grundstückseigentümer
der ehemalige Grundstückseigentümer als sogenannter verlängerter Zustandsstörer
der Inhaber der tatsächlichen Gewalt, also insbesondere Mieter oder Pächter, wobei deren Inanspruchnahme oft ineffektiv ist, da ein jederzeitige Haftungsentzug durch Vertragskündigung bzw. Aufgabe des Herrschaftswillens möglich ist,
der Inhaber eines Erbbaurechts
die Wohnungseigentümergemeinschaft oder auch
der Insolvenzverwalter
Problematisch gestaltet sich die Haftung des Zustandsstörers in der Konstellation abdriftender Schadstofffahnen – mithin bei der Frage, ob ein Zustandsstörer auch für Maßnahmen innerhalb der Schadstofffahne außerhalb seines Grundstücks herangezogen werden kann. Diese Problematik ist nach wie vor höchst umstritten und es gibt verschiedenste Konstellationen, die jeweils im Einzelfall genau zu betrachten und zu bewerten sind. Dabei gibt es allerdings die Tendenz, dass die Rechtsprechung die Möglichkeit einer entsprechenden Inanspruchnahme von Zustandsstörern zunehmend bejaht.
VI. Exemplarische Ermessensfehler
Ermessensfehler bei der behördlichen Störerauswahl kommen durchaus recht häufig vor und betreffen regelmäßig die beiden Fallkonstellationen des Ermessensausfalls bzw. des Ermessensdefizits / -fehlgebrauchs. Zu nennen sind insoweit insbesondere:
die Feststellung, dass eine Rangfolge bestünde bzw. der Handlungsstörer stets vor dem Zustandsstörer in Anspruch zu nehmen sei
das Außerachtlassen bzw. Vergessen von Störern bzw. potentiell Pflichtigen
eine mangelnde oder fehlende Sachverhaltsaufklärung
sachfremde Erwägungen
keine neue oder eigene Störerauswahl für einen Folgebescheid, sondern bloßer Rückgriff auf bestehende Altabwägungen
die Annahme von Leistungs(un)fähigkeit, ohne dies näher zu überprüfen sowie
die mangelhafte oder gar vollständig fehlende Dokumentation oder Begründung der Auswahlentscheidung
VII. Weiteres
Abschließend soll noch hingewiesen werden auf die Möglichkeit des Nachschiebens von Ermessenserwägungen im Prozess gemäß § 114 Satz zwei VwGO, wobei insoweit allenfalls eine Ergänzung von bereits getroffenen Erwägungen erfolgen kann, nicht aber das Nachholen eines kompletten Ermessensausfalls oder eine vollständige Auswechslung von Ermessenserwägungen.
„Umgehen“ lassen sich die aufgezeigten Schwierigkeiten bei der Störerauswahl durch den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages. Da dieser auf einer freiwilligen Vereinbarung basiert, ist für diesen schließlich keine detaillierte Störerauswahl mit all ihren Fallstricken erforderlich.
Zu guter Letzt sei noch auf die folgenden wesentlichen Gerichtsentscheidungen mit Bezügen zur Störerauswahl aus der jüngeren Zeit hingewiesen:
VG Schleswig, Beschl. v. 17.03.2021 – 6 B 21/20
OVG Bautzen, Urt. v. 17.07.2020 – 4 A 525/18
VG Ansbach, Urt. v. 02.06.2020 – AN 9 K 17.808
OVG Brandenburg, Beschl. v. 27.03.2020 – 11 N 118.16
VG Würzburg, Beschl. v. 18.12.2019 – W 4 S 19.1366
VG Cottbus, Urt. v. 12.12.2019 – 3 K 1828/15
VG Karlsruhe, Urt. v. 13.11.2019 – 2 K 6364/18
VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.09.2018 – 9 K 5544/14
VG Augsburg, Urt. 18.09.2018 – Au 3 K 16.1061
VGH München, Beschl. v. 15.05.2018 – 22 CS 18.566
VGH München, Urt. v. 30.01.2018 – 22 B 16.2099
VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 10.01.2018 – 9 L 3015/17
OVG Bremen, Beschl. v. 20.12.2017 – 1 LA 292/15
OVG Münster, Urt. v. 20.09.2017 – 16 A 1920/09
BVerwG, Beschl. v. 16.02.2017 – 7 B 16.16.
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