Der europäische Gesetzgeber hat dem Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der bisherigen Produkthaftungsrichtlinie zugestimmt. In den vergangenen 40 Jahren, dem Zeitraum seit Inkrafttreten der bisherigen Produkthaftungsrichtlinie, haben sich Gestaltung und Funktionen von Produkten gerade im Hinblick auf die Digitalisierung beachtlich verändert.
Die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie 2024 (ProdHaftRL-2024) soll insbesondere die Entwicklungen des digitalen Zeitalters erfassen und bringt daher zahlreiche Neuerungen mit. Damit stehen auch wesentliche Änderungen für das deutsche Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) bevor.
– Vierter Beitrag der Blogreihe „Product Compliance Essentials“ mit Christian Thomas –
Status Quo der gesetzlichen Produkthaftung nach dem deutschen Produkthaftungsgesetz, das die unionsrechtlichen Vorgaben umsetzt, ist eine verschuldensunabhängige Haftung des Herstellers für Schäden, die durch Produkte verursacht werden, die im Zeitpunkt des Inverkehrbringens fehlerhaft sind. Geschützte Rechtsgüter sind Leben, Körper, Gesundheit und Eigentum. Haftungssubjekt ist der Hersteller oder Quasi-Hersteller des Produkts. Produkte im Sinne § 2 ProdHaftG sind bewegliche Sachen und Elektrizität.
Gegenwärtig ist nach wie vor nicht abschließend geklärt, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Software als Produkt gilt. Der Geschädigte muss den Nachweis erbringen, dass das Produkt fehlerhaft ist, dass kausal durch den Produktfehler eine Rechtsgutsverletzung und ein Schaden verursacht wurden. Bei Sachschäden trägt der Geschädigte einen Eigenanteil von EUR 500. Darüber hinaus besteht eine Haftungsobergrenze bis EUR 85 Millionen .
Ein verschuldensunabhängiger Produkthaftungsanspruch ist von einem Anspruch aus Produzentenhaftung gemäß § 823 BGB zu differenzieren. Letztgenannter setzt ein Verschulden des Herstellers voraus. Anknüpfungspunkt für die Haftung ist die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht in Gestalt des Inverkehrbringens eines fehlerhaften Produkts. Weitere wesentliche Unterschiede sind:
Die beiden letztgenannten Punkte, dass keine Eigenbeteiligung zu leisten ist und dass es keine Haftungsobergrenze gibt, werden sich durch die anstehenden Änderungen infolge der ProdHaftRL-2024 ändern, indem die Eigenbeteiligung und Haftungsobergrenze im ProdHaftG ersatzlos gestrichen werden, weil die ProdHaftRL-2024 eine solche Regelungsoption für die Gesetzgeber der Mitgliedsstaaten nicht mehr vorsieht.
Mit der Neufassung der Produkthaftungsrichtlinie wird klargestellt, dass Software ein Produkt im Sinne des Produkthaftungsrechts sein soll. Dies gilt unabhängig davon, ob diese in einer beweglichen Sache integriert ist oder eigenständig besteht. Neben Softwares gelten auch digitale Produktionsdateien (z.B. 3D-Drucker), digitale Dienste (z.B.: Smart-Home-Systeme, Roboter etc.) sowie KI-Systeme bald als Produkte im Sinne des Produkthaftungsrecht. Durch die Erweiterung des Produktbegriffs wird der Anwendungsbereich des ProdHaftG Wirtschaftssektoren erfassen, die bislang kein Adressat einer Haftung aus dem ProdHaftG waren. Diese sollten sich dementsprechend frühzeitig hiermit befassen und auf Haftungsrisiken einstellen.
Auch der Kreis der Haftungssubjekte für fehlerhafte Produkte erweitert sich erheblich. Anspruchsgegner sind dann nicht mehr nur die Hersteller, Quasi-Hersteller und Einführer eines Produkts, sondern auch der Bevollmächtigte des Herstellers und „Fulfillment-Dienstleister“ (z.B.: Lager-, Versand- und Verpackungsdienstleister). Nach der ProdHaftRL-2024 gelten unter engen Voraussetzungen auch Einzelhändler und Betreiber von Online-Marktplätzen als Hersteller. Auch Unternehmen, die Produkte ohne Einfluss des Herstellers nachträglich wesentlich verändern, sollen mit der Herstellung neuer Produkte gleichgesetzt werden und für Schäden, die durch das fehlerhafte Produkt verursacht werden, haften. Grund für die Erweiterung ist, dass der europäische Gesetzgeber dem Geschädigten stets einen Anspruchsgegner zuordnen will, um so das Ziel – Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus für Verbraucher in Europa – umzusetzen.
Nach aktuellem Produkthaftungsrecht ist eine Haftung für durch ein fehlerhaftes Produkt verursachte Schäden unter anderem dann ausgeschlossen, wenn das Produkt im Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht fehlerhaft war bzw. dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprach. Dieser gesetzliche Haftungsausschlussgrund wird dahingehend verschärft, dass eine Haftung auch dann besteht, wenn das Produkt erst nach dem Inverkehrbringen fehlerhaft wurde, der Hersteller aber noch Kontrolle auf das Produkt ausüben konnte. Diese Zeitpunktverschiebung ist insbesondere für Hersteller von Software sowie von digital-vernetzten Produkten relevant. Der Haftungsrahmen erweitert sich insofern deutlich. Dies erfordert beispielsweise eine regelmäßige Updatepflicht der Softwares.
Die Verpflichtung zur Erbringung des Beweises hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit des Produkts sowie des Kausalzusammenhangs zwischen Produktfehler und Schaden verbleibt weiterhin beim Geschädigten. Jedoch wird diese Beweislast für den Geschädigten dahingehend erleichtert, dass eine widerlegbare Vermutung zugunsten des Geschädigten eingeräumt werden kann, wenn die Beweisführung für den Geschädigten aufgrund wissenschaftlicher und technischer Komplexität übermäßig schwierig ist und der Geschädigte hinreichende Beweise vorgelegt hat, die das Bestehen eines Produktfehlers und den Kausalzusammenhang zwischen Produktfehler und Schaden als wahrscheinlich erscheinen lassen. Zu beachten ist, dass die Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutungsregelung unbestimmte Rechtsbegriffe sind, die durch die Rechtsprechung noch konkretisiert werden müssen. Demnach besteht noch Unklarheit über die genaue Anwendung dieser Vermutungsregelung.
Eine weitere beachtliche Änderung in der ProdHaftRL-2024 ist die Schaffung eines Anspruchs auf Offenlegung relevanter Beweise, über die der Hersteller die Verfügungsgewalt hat. Das Gericht kann den Hersteller auf Antrag des Geschädigten zur Offenlegung und Herausgabe relevanter Beweismittel verpflichten („sog. disclosure of evidence“). Voraussetzung für diesen Anspruch ist, dass der Geschädigte ausreichende Tatsachen und Beweismittel in den Prozess eingebracht hat, die einen Schadensersatzanspruch plausibel erscheinen lassen. Die Gerichte müssen dabei die Berufs- und Geschäftsgeheimnisse des betroffenen Wirtschaftsakteurs schützen. Diese strenge Vorschrift soll durch die Anwendung einer verhältnismäßigen Interessenabwägung gemildert werden. Aus der Richtlinie geht bisher nicht hervor, dass dieser Anspruch auch außergerichtlich geltend gemacht werden kann. Der prozessrechtliche Offenlegungsanspruch stellt ein scharfes und ungewöhnliches Mittel für das deutsche Prozessrecht dar. Der europäische Gesetzgeber will so das Gefälle zwischen Hersteller und Geschädigtem angleichen.
Der Anwendungsbereich auch des deutschen Produkthaftungsrechts wird infolge der ProdHaftRL-2024 erheblich erweitert und die Pflichten der betroffenen Wirtschaftsakteure modifiziert. Durch die Erweiterung des Produktbegriffs werden auch Software-Hersteller und Entwickler von KI-Systemen Haftungssubjekte im Sinne des ProdHaftG. Voraussichtlich Mitte 2026 sollen die Änderungen aus der ProdHaftRL-2024 in das nationale ProdHaftG umgesetzt worden sein und ab da an in Deutschland gelten.
Mit Hinblick auf die strengeren Anforderungen des neuen Produkthaftungsgesetzes und Beweiserleichterung für Anspruchssteller muss der erweiterte Kreis von Unternehmen, die dem Produkthaftungsgesetz unterfallen (siehe oben) sich in der Herstellungs- und Produktlieferungskette vertraglich besser absichern. Dies einerseits gegen die Lieferung mangelhafter Ware und andererseits hinsichtlich Rückgriffsmöglichkeiten gegen denjenigen, der den eigentlichen Fehler des Produktes und damit den Haftungsfall verursacht hat.
Auf der Käufer- und Auftraggeberseite in der Lieferkette müssen daher Unternehmen darauf achten, dass ihnen vertraglich der breite, verschärfte Mängelbegriff des § 434 BGB erhalten bleibt, und nicht durch allgemeine Auftrags- und Lieferbedingungen des Lieferanten beschnitten wird. So werden solche Unternehmen Wert legen müssen auf besonders transparente und nicht auslegungsfähige Leistungsbeschreibung bei Produktlieferverträgen. Hinzu kommt, dass sich die Erwerberseite in der Lieferkette durch angemessene Freistellungsklauseln im Fall von Produkthaftungsfällen schadlos halten muss. Hierbei darf jedoch das geltende AGB-Recht nicht übersehen werden. Bei Freistellungsklauseln ist darauf zu achten, dass der Bundesgerichtshof diese nur AGB-rechtlich zulässt, wenn eine schuldhafte Pflichtverletzung des Lieferanten vorliegt (die es vertraglich zu kreieren gilt) und Gegenstand der Freistellung nur angemessene und übliche Kosten sind. Zudem darf auch bei verwenderfeindlichster Auslegung einer Vertragsklausel der Einwand des Mitverschuldens nach § 254 BGB nicht abgeschnitten werden.
Auf Seiten des Lieferanten der Lieferkette ist im Hinblick auf die Neuentwicklung besonderer Wert auf eine möglichst enge transparente Leistungsbeschreibung zu legen. Zudem ist AGB-rechtlich zulässigerweise der verschärfte Mängelbegriff des § 434 BGB, dessen Anforderungen eine Vielzahl von Lieferanten nicht erfüllen können, zu beschneiden. Dabei sind wiederum die AGB-rechtlichen Anforderungen zu berücksichtigen. Zudem muss die Lieferantenseite aufgrund der erwartbaren neuen Produkthaftungsregeln bestrebt sein, übergeordnete Produktrückrufklauseln, bei denen die Kostenlast auch für potenzielle Image-Schäden getragen werden soll, vertraglich abzuwenden.
Insgesamt ist im Rahmen der verschärften produkthaftungsrechtlichen Anforderungen in der Lieferkette besonders darauf zu achten, dass die jeweiligen rechtlichen Bedingungen synchronisiert werden, damit nicht beim Rücktritt in der Lieferkette durch eine fehlerhafte Synchronisation ein Haftungs-Gap ergeben.
Unternehmen machen oft den bedeutsamen Fehler, sich zu wenig mit der Vertrags- und AGB-rechtlichen Gestaltung von Lieferverträgen zu beschäftigen und stattdessen auf eine Regulierung des Betriebshaftpflicht- oder Produktrückrufversicherers zu verlassen. Die Lieferantenseite tut gut daran, für den Fall, dass Forderungen aus Lieferverträgen wegen Produkthaftungsfällen erhoben werden, die Vertragsklauseln, auf denen diese Ansprüche beruhen, durch einen AGB-rechtlichen Experten auf ihre Rechtswirksamkeit prüfen zu lassen. Oftmals lösen sich sodann Rückgriffsansprüche in Luft auf.
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