Explodierende Energiepreise: Preisanpassung im B2B-Bereich möglich?

1. Ausgangslage/Ausgangssituation

Am 24. Februar 2022 begann die kriegerische Invasion Russlands in der Ukraine, welche die wirtschaftliche Lage in Deutschland und ganz Europa seither stark beeinflusst. Insbesondere im Hinblick auf die Energiepreise, insbesondere für Strom und Gas, ist deutlich erkennbar, wie unruhig die aktuelle Situation immer noch ist und dass Unternehmen mit Unwägbarkeiten bei den Preise und der Versorgungssituation rechnen müssen. Die Preise langfristiger Stromlieferungen haben sich in 12 Monaten verfünffacht, und der Spotmarkt für Energiepreise stieg an einzelnen Tagen 10-fach so stark an. Das Statistische Bundesamt hat zur Entwicklung der Energie- und Strompreise in den Jahren 2015 bis 2022 folgende Preisentwickelungen veröffentlicht:

 

Abbildungen 1 und 2: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Website des Statistischen Bundesamtes, Pressemitteilung Nr. N 016 vom 29. März 2022, URL: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/03/PD22_N016_61.html
Mit einer derartigen Verteuerung konnten Unternehmen weder rechnen, noch wäre es vollumfänglich möglich gewesen, sich demgegenüber vertraglich im Vorfeld abzusichern. Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass mit einer vollständigen Unabhängigkeit von russischem Gas erst im Sommer 2024 gerechnet werden kann. Für Unternehmen ist es daher unerlässlich, bestehende vertragliche Vereinbarungen aufgrund des gravierenden Anstiegs der Energiepreise zu sichten und Anpassungsmöglichkeiten zu prüfen.

 

Wenn man der Expertenmeinung folgt, dass die Krise voraussichtlich länger einen großen Einfluss auf die Strom- und Gaspreise haben wird, ist für Unternehmen, deren Produktion sehr energieintensiv ist, die Gefahr sehr groß, dass Sie langfristig keinen Gewinn oder sogar Verluste verzeichnen werden. Die stark gestiegenen Kosten der Unternehmen können zurzeit bei vielen Verträgen nicht mehr durch den vertraglich festgelegten Preis abgedeckt werden.

 

Im Bereich der öffentlichen Verträge, wie von Telefongesellschaften oder Vermieter: innen, ist durch § 132 GWB die Änderung von Verträgen und die damit verbundene Preisanpassung bei Veränderungen durch äußere Umstände geregelt. Eine derartige Regelung ist in Verträgen zwischen Unternehmen jedoch meist nicht enthalten.

 

Es stellt sich daher die Frage, ob gegebenenfalls gesetzliche oder vertragliche Anpassungsmöglichkeiten bestehen.

 

2. Gesetzliche Anpassungsmöglichkeit

 

Eine Anpassung von Verträgen zwischen Unternehmen könnte insbesondere nach § 313 Abs. 1 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) erfolgen.

 

Eine sogenannte „Störung der Geschäftsgrundlage“ liegt vor, wenn sich die Umstände nach Vertragsschluss insoweit grundlegend verändert haben (reales Element), dass beide Parteien bei Kenntnis der neuen Umstände den Vertrag nicht oder abweichend beschlossen hätten (hypothetisches Element). Eine Anpassung kann verlangt werden, wenn die Aufrechterhaltung am unveränderten Vertrag für eine Partei nicht zumutbar ist (normatives Element). Ob eine Preisanpassung durchgeführt werden kann, kommt immer auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung, an. Ist eine Anpassung nicht möglich, so kann die benachteiligte Partei vom Vertrag zurücktreten.

 

Reales Element

 

In diesem Jahr entwickelten sich die Umstände dahingehend, dass durch den Krieg in der Ukraine die Preise von Gas und Strom explodierten und so die Kosten für die Produktion von Verkäufern um ein Vielfaches und auf ein noch nie dagewesenes Maß anstiegen.

 

Hypothetisches Element

 

Es ist davon auszugehen, dass redliche Parteien die durch den Ukraine-Krieg bedingten Preissteigerungen vertraglich berücksichtigt hätten, wenn ihnen diese im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bekannt gewesen wären.

 

Normatives Element

 

Das normative Element des § 313 BGB setzt für eine Vertragsanpassung voraus, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Die Rechtsprechung ist bei dem Kriterium der Zumutbarkeit sehr streng.

 

Grundsätzlich sieht die Rechtsprechung die Preiskalkulation als ureigenen Risikobereich des Verkäufers an und fordert demnach auch, dass zukünftige Negativ-Preisentwicklungen ebenfalls bei der Kostenkalkulation berücksichtigt werden. Folglich ist es extrem schwierig, die vorab vereinbarten Preise aufgrund nachträglicher negativer Preisentwicklungen nach oben zu korrigieren. Als Voraussetzung einer Preisanpassung wird teilweise sogar eine Existenzbedrohung des Verkäufers gefordert. Andere Gerichte gehen weiter und schließen die Anwendung von § 313 BGB sogar komplett aus (vgl. OLG Hamburg vom 28.12.2005 – 14 U 124/05). In diesem Zusammenhang wird auch häufig das ältere Urteil des BGH zitiert, welches im Kontext der damaligen Ölkrise entschied, dass selbst Kostensteigerungen von über 100% nicht zu einer nachträglichen Preisanpassung berechtigen (BGH, Urt. 08.02.1978 – VIII ZR 221/76).

 

Eine pauschale Aussage, wann eine Preisanpassung in Betracht kommt, kann also nicht getroffen werden. Zuletzt hat der BGH in einer prominenten Entscheidung zur COVID-19-Pandemie und einem Anpassungsrecht der Gewerberaummieter im Lockdown im Hinblick auf das Zumutbarkeitskriterium des § 313 BGB gewisse Grundsätze aufgestellt, die sich auch auf Fälle der Preisanpassung aufgrund des Ukraine-Kriegs übertragen lassen (vgl. BGH, 12.01.2022, Az.: XII ZR 8/21):

 

Eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage darf nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen.
Finanziellen Vorteile, die aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der Nachteile erlangt wurden, sind zu berücksichtigen.
Das Zumutbarkeitskriterium erfordert eine auf den Einzelfall bezogene Abwägung aller relevanter Umstände.
Die Interessen beider Vertragsparteien sind zu berücksichtigen.

 

Letztendlich dürfte es auch auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommen. Sind Preissteigerungen bereits bei Vertragsschluss absehbar, kommt eine Anpassung über § 313 BGB regelmäßig nicht in Betracht. Für Verträge, die erst nach Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 abgeschlossen wurden, dürften Anpassungen über § 313 BGB wegen der Auswirkungen des Ukraine-Krieges daher wohl nicht in Betracht kommen.

 

Im Ergebnis wird eine Preisanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage wohl nur bei extremen Preissteigerungen in Betracht kommen. Eine Aussage über ein feste Prozentgrenze, ab wann eine Anpassung erfolgen kann, ist aufgrund der vom BGH geforderten Einzelfallbetrachtung, nicht möglich, es ist jedoch zu konstatieren, dass die aktuelle Situation – auch aufgrund der „Begleiterscheinungen“ (COVID-19, Inflation etc.) – sicherlich extrem außergewöhnlich ist und daher durchaus gute Argumente für eine Anpassung liefert.

 

3. Vertragliche Anpassungsmöglichkeiten

 

3.1 Höhere Gewalt

 

Denkbar wäre zudem, eine Preisanpassung über eine sogenannte Force-Majeure-Klausel zu erzielen. Eine solche Klausel dient dazu, Fälle von höherer Gewalt abzudecken. Höhere Gewalt wird allgemein definiert als „betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen Dritter herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist“. Danach ist schon problematisch, dass die Unternehmen meist nicht unmittelbar von den kriegerischen Ereignissen – das potenzielle Ereignis höherer Gewalt – betroffen sind, sondern nur mittelbar durch die aktuellen Steigerungen der Rohstoffpreise. Wenn der aktuelle Fall (Preiserhöhungen bedingt durch einen Krieg in einem anderen Land) nicht ausdrücklich in der Force-Majeure-Klausel aufgezählt ist, muss die Klausel ausgelegt werden. Dabei kann mangels eines Anwendungsfalls in der Vergangenheit bedauerlicherweise nicht auf bisherige Rechtsprechung zurückgegriffen werden.

 

Ob eine Preisanpassung über eine Force-Majeure-Klausel möglich ist, setzt im Ergebnis folgendes voraus:

 

Klausel muss bereits bei Vertragsschluss im Vertrag integriert worden sein.
Wortlaut der Klausel sollte den konkreten Anwendungsfall (kriegsbedingte Preissteigerung) abdecken.
Preisanpassung sollte als Rechtsfolge vorgesehen werden. Viele Force-Majeure-Klausel beinhalten nur ein Rücktrittsrecht.

 

3.2 Preisanpassungsklausel

 

Schließlich könnte schon bei Vertragsschluss eine sogenannte Preisanpassungsklausel aufgenommen werden. Allerdings können derartige Klauseln nach der Rechtsprechung nur unter Einhaltung strenger Voraussetzung rechtswirksam gestaltet werden.

 

Grundsätzlich fordert der BGH die Einhaltung folgender Punkte:

 

Die Preisanpassung muss an Kostenelemente gekoppelt werden, die der jeweilige Kunde kennt oder zumindest mit zumutbaren Mitteln in Erfahrung bringen kann.
Ein Anstieg bei einem Kostenfaktor muss durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen werden können, es muss somit eine Saldierung der Preisfaktoren gewährleistet sein.
Es darf nicht über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus, versucht werden, nicht nur eine Gewinnschmälerung zu vermeiden, sondern auch einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen. Das Äquivalenzverhältnis bei Vertragsschluss muss also immer gewährleistet werden.

 

4. Fazit

 

Die Auswirkungen der kriegerischen Auseinandersetzung in der Ukraine auf den weltweiten Energiemarkt beeinflussen Unternehmen seit geraumer Zeit und werden sich auch in naher Zukunft nicht verbessern. Grundsätzlich kann § 313 BGB dazu genutzt werden, um Anpassungen in bereits bestehenden Verträgen vorzunehmen und so benachteiligte Unternehmen zu entlasten. Die Anwendung von § 313 BGB ist praktisch zwar schwierig (vgl. oben genannte Urteile), aber immer von dem jeweiligen Einzelfall abhängig und daher grundlegend nicht erfolglos. Besonders im Hinblick auf die Zukunft wird ein Urteil zugunsten der benachteiligten Partei in Bezug auf eine Preisanpassung wahrscheinlicher. Es bleibt abzuwarten, wie Gerichte vor dem Hintergrund der Auswirkungen des Ukraine Konflikts die Anwendbarkeit von § 313 BGB im B2B-Bereich neu bewerten. Für zukünftige Verträge empfiehlt sich in jedem Fall die Aufnahme einer Force-Majeure und/oder Preisanpassungsklausel, damit neben der unsicheren gesetzlichen Anpassungsmöglichkeit zumindest vertragliche Anpassungsmöglichkeiten bestehen.

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