Neue Medizinprodukteverordnung (EU) 2017/745 – Verschiebung des Geltungsbeginns

Christian Thomas

Die Europäische Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR) trat am 25. Mai 2017 in Kraft (ebenso wie die In-Vitro-Diagnostika Verordnung). Nach einer Übergangsfrist (für einen Großteil der Regelungen), innerhalb derer die Zertifizierung von Medizinprodukten noch nach altem Recht möglich war, sollte die Verordnung ursprünglich ab dem 26. Mai 2020 zur Anwendung gelangen. Corona-bedingt hat der europäische Gesetzgeber den Geltungsbeginn der MDR um ein Jahr auf den 26. Mai 2021 verschoben.

Die MDR ersetzt die Medizinprodukte-Richtlinie 93/42/EG (Medical Device Directive, MDD) sowie die Richtlinie über aktive implantierbare medizinische Geräte (90/385/EWG). Die Tatsache, dass die in den einzelnen Mitgliedstaaten umsetzungsbedürftige Richtlinie durch eine unmittelbar innerstaatliche Geltung entfaltende EU-Verordnung abgelöst wurde, ist Ausdruck des generellen Kurswechsels der europäischen Rechtsetzung insb. im Produktbereich. Gleichwohl sind dennoch Anpassungen im nationalen Medizinprodukterecht erforderlich.

Die MDR definiert im Wesentlichen die Anforderungen, die Hersteller von Medizinprodukten sowie die übrigen Wirtschaftsakteure entlang der Lieferkette erfüllen müssen. Die Verordnung sieht vor allem erhöhte Anforderungen an das Inverkehrbringen und die Überwachung von Medizinprodukten in der Europäischen Union vor.

Überblick der wichtigsten Neuerungen

  • Erweiterung des Geltungsbereichs insb. auf kosmetische und sonstige Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung (z.B. farbige Kontaktlinsen, Implantate, Stoffe für ästhetische Zwecke)
  • Neueinstufung von Produkten nach Risiko: Neue Klassifzierungsregeln und / oder besondere Konformitätsbewertungsverfahren anhand der Risikoklassen führen gegebenenfalls zu einer Höherstufung von Produkten. Der Risikograd eines Produkts bestimmt
    • die Auflagen für Hersteller und andere Wirtschaftsakteure,
    • die Anforderungen an klinische Prüfungen und klinische Nachweise und
    • die Anforderungen an die Marktüberwachung durch die nationalen Behörden.
  • Erweiterte Pflichten der Hersteller und weiterer Wirtschaftsakteure
    • Strengere klinische Nachweise für Medizinprodukte der Klasse III und implantierbare Geräte
    • Die Hersteller von Medizinprodukten müssen in ihrer Organisation mindestens eine „qualifizierte Person“ benennen, die letztlich dafür zuständig ist, dass die Anforderungen der neuen Medizinprodukteverordnung erfüllt werden.
    • Hersteller mit Sitz außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes müssen einen Bevollmächtigten beauftragen.
    • Ein Risikomanagement muss eingerichtet werden.
    • Medizinproduktehersteller müssen ein Qualitätsmanagementsystem nachweisen, auch für die Herstellung von Medizinprodukten der Klasse I.
    • Hersteller müssen sich auf unangemeldete Audits einrichten, die nach der MDR verpflichtend sind.
    • Vielzahl neuer Berichtserfordernisse u.a. zu Nachmarktbeobachtung und Vigilanz
    • Einführung eines neuen Symbols „MD“ für Medizinprodukte (Medical Devices), das auf Etiketten aufgebracht wird
    • Auch der Import, Vertrieb, Handel sowie Tätigkeiten im Bereich der Leistungserbringung in Gesundheitseinrichtungen werden stärker reguliert.
  • Konformitätsbewertung:
    • Entsprechend der Einordnung in eine Risikoklasse ist ein spezielles Verfahren zur Konformitätsbewertung anzuwenden. Diese sagt aus, ob ein Produkt die medizinprodukterechtlichen Anforderungen erfüllt.
    • Einführung einer neuen Risikoklasse „Ir“ für wiederverwendbare chirurgische Instrumente
    • Bei sämtlichen Produkten der Klassen IIa, IIb und III sowie bei bestimmten Produkten der Klasse I ist eine sog. Benannte Stelle zu beteiligen.
    • Bei bestimmten Hochrisikoprodukten der Klassen IIb und III ist die Durchführung eines neuen Konsultationsverfahrens durch ein unabhängiges Expertengremium erforderlich („Scrutiny-Verfahren“).
    • Das eingerichtete Qualitätsmanagementsystem umfasst nun die klinische Bewertung und die klinische Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen (Post-Markt-Surveillance).
  • Benannte Stellen: Benannte Stellen müssen durch die EU-Kommission neu zugelassen werden. Es besteht kein Bestandsschutz. Die MDR erweitert die Befugnisse der Benannten Stellen bezüglich der klinischen Überwachung nach dem Inverkehrbringen (z.B. unangekündigte Audits, Stichproben- und Produktprüfungen).
  • Umsetzung des Systems der eindeutigen Produktnummer: Medizinprodukte sollen sich zukünftig eindeutig klassifizieren lassen. Zu diesem Zweck wird jedem Medizinprodukt eine eindeutige Produktnummer, die „Unique Device Identification“ (UDI) zugeordnet. Damit soll die Rückverfolgbarkeit bestimmter Produkte, die ein Sicherheitsrisiko darstellen, entlang der Lieferkette vereinfacht und so ein schnellerer und effizienterer Rückruf ermöglicht werden.
  • Ausbau der Europäischen Datenbank für Medizinprodukte (EUDAMED): Seit Mai 2011 sind alle EU-Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, die Europäische Datenbank für Medizinprodukte (kurz EUDAMED) zur Verwaltung von Medizinprodukten zu nutzen. Diese erfährt mit der MDR eine Erweiterung. Ziel ist es, die Zusammenarbeit bei der Überwachung von Medizinprodukten zu verbessern und für mehr Transparenz zu sorgen. Hersteller, Importeure oder für den Vertrieb in der EU autorisierte Vertreter für Medizinprodukte müssen Daten zur Rolle des Akteurs sowie produktrelevante Daten über jedes, für den Vertrieb in der EU bestimmte Produkt, in der EUDAMED zur Verfügung stellen.

Besondere Herausforderungen für Wirtschaftsakteure

Konformitätsbescheinigungen, die nach der MDD ausgestellt wurden, sind weiterhin gültig, allerdings maximal bis zum 27. Mai 2024. Bis zu diesem Zeitpunkt können Produkte zwar noch auf dieser Grundlage in Verkehr gebracht werden. Allerdings gelten auch für diese Produkte im Übrigen ab dem 26. Mai 2021 die Vorgaben der MDR.

Produkte, die bis zum 25. Mai 2021 nach der MDD in Verkehr gebracht werden (z.B. Lagerware), dürfen bis zum 26. Mai 2025 noch bereitgestellt / in Betrieb genommen werden. Wichtig ist, dass der Handel mit gebrauchten Produkten nicht von dieser Abverkaufsregelung erfasst ist.

Hohe Anforderungen stellt die MDR aber nicht nur an die Hersteller von Medizinprodukten. Sie gelten auch für die Benannten Stellen, die für die Konformitätsbewertung von Medizinprodukten – mit Ausnahme der Risikoklasse 1 – notwendig sind. Auch sie müssen ihre Benennung für die MDR neu beantragen

Die wohl größte praktische Herausforderung liegt aktuell darin, dass es eine viel zu geringe Anzahl Benannter Stellen für die Zertifizierung der Produkte nach MDR gibt. Diese sind aber zwingend erforderlich, um die notwendigen Konformitätsbewertungsprozesse für Medizinprodukte durchzuführen. Die bestehenden Benannten Stellen haben selbst einen Zertifizierungsprozess zu durchlaufen, da ihre ursprüngliche Zertifizierung nach MDD mit Geltung der MDR entfällt. Nach wie vor befindet sich ein großer Teil der Benannten Stellen in der Phase der Akkreditierung. Es ist daher offen, wie viele Prüfstellen zu welchem Zeitpunkt das Verfahren abschließen können

Darüber hinaus erhöht die MDR die Anforderungen an die klinische Evidenz von Medizinprodukten. Zukünftig erfordern alle Medizinprodukte, unabhängig von ihrer Risikoklasse, eine klinische Bewertung. Das neu eingeführte „Scrutiny“-Verfahren bedeutet eine verbesserte Überwachung von neuen, implantierbaren Produkten der Risikoklasse III, sowie von Arzneimittel-haltigen Produkten der Klasse IIb vor Markteintritt. Zusätzlich zu den erhöhten Anforderungen an den Hersteller gelten ab sofort auch strengere Regeln für die Benannten Stellen. Um Medizinprodukte zulassen zu dürfen, müssen diverse zusätzliche Anforderungen erfüllt werden. Zudem sind die Benannten Stellen dazu verpflichtet, unangekündigte Audits bei den Herstellern durchzuführen. Zusätzliche Anforderungen an die von den Herstellern zu liefernde technische Dokumentation erhöhen den Umfang und die Komplexität der Dokumentation erheblich.

Fazit

Für viele Wirtschaftsakteure stellt die Verschiebung der Geltung der MDR einen wichtigen Schritt dar, der es ihnen ermöglicht, Medizinprodukte weitere zwölf Monate nach der bislang geltenden Rechtslage der MDD in Verkehr zu bringen.

Gleichwohl ist es für Hersteller von Medizinprodukten sinnvoll und auch angezeigt, die im Einzelfall erforderlichen Schritte zur Herbeiführung der MDR-Compliance von Produkten sowie Unternehmen – trotz der Verschiebung – jetzt zu ergreifen. Insbesondere da die MDR regelmäßig einen recht umfassenden Anpassungsbedarf auslöst, sollten nun unbedingt die notwendigen Schritte eingeleitet bzw. umgesetzt werden.

Schließlich wirkt sich die Verschiebung des Geltungsbeginns der MDR nicht auf die Übergangsfrist (26. Mai 2024) für die Toleranz von Medizinprodukten, die noch nach der MDD in Verkehr gebracht wurden, aus. Diese „verkürzt“ sich nun von vier auf drei Jahre.

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