Die Gleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten ist ein Grundsatz, der immer wieder im Fokus arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen steht.
Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sorgt nun für Klarheit bei Überstundenzuschlägen – und hat dabei weitreichende Bedeutung für viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Doch worum ging es genau? Und welche Konsequenzen hat das Urteil?
Im Mittelpunkt des Falls stand eine Pflegekraft, die in Teilzeit bei einem großen ambulanten Dialyseanbieter beschäftigt ist. Nach dem geltenden Manteltarifvertrag (MTV) waren Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte nur dann vorgesehen, wenn die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschritten wurde. Alternativ zu einer Auszahlung des Zuschlags war eine entsprechende Zeitgutschrift im Arbeitszeitkonto vorgesehen Für Teilzeitkräfte bedeutete dies: Auch wenn sie über ihre individuell vereinbarte Arbeitszeit hinaus arbeiteten, erhielten sie keinen Überstundenzuschlag – es sei denn, sie überschritten die monatliche Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten.
Die Klägerin sah sich dadurch benachteiligt und machte geltend, dass diese Regelung gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten verstößt (§ 4 Abs. 1 TzBfG). Sie verlangte, ihrem Arbeitszeitkonto als Zeitgutschrift für Überstundenzuschläge weitere 38 Stunden und 39 Minuten gutzuschreiben. Zudem führte sie an, dass die Regelung des MTV eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts darstelle, da Teilzeitstellen überwiegend von Frauen besetzt seien. Darüber hinaus verlangte sie die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe eines Vierteljahresverdienstes (rund EUR 4.500,00).
Das Bundesarbeitsgericht gab der Klägerin in zentralen Punkten recht. Es sprach der Klägerin die beantragte Zeitgutschrift zu und erkannte darüber hinaus auch einen Entschädigungsanspruch an, allerdings nur in Höhe von EUR 250,00.
Die tarifvertragliche Regelung des MTV hielt das BAG für unwirksam, da sie Teilzeitbeschäftigte schlechter stellte als ihre vollzeitbeschäftigten Kollegen. Für die Teilzeitbeschäftigung sieht der § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV keine der Teilzeitquote entsprechende anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Überstundenzuschlags vor. Tarifliche Regelungen, die Teilzeitbeschäftigte nur dann für geleistete Überstunden entschädigen, wenn diese die Arbeitszeit von Vollzeitkräften überschreiten, verstoßen gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten. Einen sachlichen Grund für diese Ungleichbehandlung konnte das BAG jedoch nicht erkennen.
Das BAG stellte auch fest, dass bei Fehlen sachlicher Gründe für die bisherige Zuschlagsregelung regelmäßig auch eine mittelbare Benachteiligung (§ 7 Abs. 1 AGG) wegen des (weiblichen) Geschlechts vorliegt. In der betroffenen Gruppe der Teilzeitbeschäftigten, die dem persönlichen Anwendungsbereich des MTV unterfallen, sind mehr als 90 % Frauen beschäftigt. Hinsichtlich der Höhe des Entschädigungsanspruchs blieb das BAG jedoch deutlich hinter der Forderung der Klägerin zurück.
Die Ungleichbehandlung bei der Zahlung von Überstundenzuschlägen verstößt somit nicht nur gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG), sondern auch gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Für Teilzeitkräfte, die dem persönlichen Anwendungsbereich eines Tarifvertrags unterfallen, ist dieses Urteil ein wichtiges Signal: Benachteiligungen bei der Vergütung von Überstunden oder anderen arbeitsvertraglichen Regelungen müssen nicht ohne weiteres hingenommen werden. Teilzeitbeschäftigte haben Anspruch auf eine faire und gleichwertige Behandlung, die ihrer Arbeitszeitquote entspricht. Sie haben daher ab der ersten Überstunde denselben Anspruch auf die Zahlung von Zuschlägen wie ihre vollzeitbeschäftigten Kollegeninnen und Kollegen.
Arbeitgeber stehen vor der Herausforderung, ihre bestehenden Regelungen zu überprüfen und anzupassen. Eine Diskriminierung von Teilzeitkräften – sei es direkt oder indirekt – kann nicht nur rechtliche Konsequenzen haben, sondern auch das Betriebsklima belasten. Eine faire Behandlung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – unabhängig von ihrem Beschäftigungsumfang – ist vor diesem Hintergrund nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern auch wichtige Komponente einer diskriminierungsfreien Unternehmenskultur.
Besonders in Branchen mit einem hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigten – häufig Frauen – ist erhöhte Aufmerksamkeit geboten, um eine Diskriminierung und Ungleichbehandlung zu vermeiden.
Die Kernaussagen des BAG-Urteils lassen sich auch außerhalb von tarifvertraglich geregelten Arbeitsverhältnissen anwenden. So können ähnliche Überlegungen auf alle arbeitsrechtlichen Regelungen übertragen werden, bei denen Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitkräften prinzipiell benachteiligt werden könnten.
Insbesondere in individuellen Arbeitsverträgen oder Betriebsvereinbarungen sollten Unternehmen darauf achten, dass Regelungen zur Vergütung (insbesondere auch die Vergütung von Überstunden), Arbeitszeit oder Zusatzleistungen keine direkte oder auch nur mittelbare Diskriminierung bewirken. Das kann gerade dann der Fall sein, wenn spezifische Vertragsbestandteile an Voraussetzungen geknüpft sind, die Teilzeitkräfte typischerweise nicht erfüllen können. Dabei gelten die Grundsätze des Teilzeit- und Befristungsgesetzes sowie des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unabhängig davon, ob ein Tarifvertrag Anwendung findet. Es handelt sich vielmehr um allgemeinverbindliche Grundsätze, die sich auf alle arbeitsvertraglichen Bereiche erstrecken müssen. Arbeitgeber sind daher gut beraten, auch ihre internen Regelwerke im Licht dieser Rechtsprechung zu überprüfen, sowie gegebenenfalls einer Revision zu unterziehen.
Das Urteil des BAG erlangt auch im Hinblick auf die Umsetzung der europäischen Entgelttransparenzrichtlinie (EU/2023/970) besondere Bedeutung. Wesentliche Zielsetzung der Richtlinie ist es, Lohnungleichheiten zwischen Frauen und Männern abzubauen und mehr Transparenz bei der Vergütung zu schaffen. Dabei geht die Richtlinie über das bereits bestehende – in der Praxis bislang eher als „stumpfes Schwert“ wahrgenommene – Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) hinaus.
Die Entgelttransparenzrichtlinie, die vom deutschen Gesetzgeber bis spätestens zum 7. Juni 2026 in nationales Recht umzusetzen ist, sieht eine spürbare Erweiterung der Arbeitgeberpflichten bei Informations-, Auskunfts- und Berichtspflichten vor, die zum Teil sogar schon im Bewerbungsverfahren Anwendung finden. Arbeitgeber sollen noch stärker dazu verpflichtet werden, diskriminierungsfreie Vergütungsstrukturen sicherzustellen und Beschäftigten Zugang zu Informationen über die Lohnverteilung zu gewähren. Bei Verstößen drohen Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche, je nach Sachverhalt in empfindlicher Höhe.
Insgesamt unterstreicht die Entscheidung des BAG vom 5. Dezember 2024, wie wichtig es ist, bestehende Regelungen nicht nur auf ihre unmittelbare Wirkung, sondern auch auf mögliche mittelbare Einflüsse – besonders in Bezug auf Diskriminierungsrisiken – hin zu überprüfen. Vor diesem Hintergrund werden Arbeitgeber zukünftig noch weitaus stärker in die Pflicht genommen, ihre Vergütungsmodelle transparent und gerecht zu gestalten, um Verstöße gegen europäische und nationale Vorschriften zu vermeiden. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eröffnet sich durch die Richtlinie hingegen ein weiterer Hebel, um auf unfaire Praktiken hinzuweisen und ihre Rechte in Form von Entschädigungsansprüchen bei geschlechtsspezifischer Lohndiskriminierung durchzusetzen.
Das Urteil könnte somit als Wegbereiter für eine konsequentere Umsetzung der Entgelttransparenz dienen und Arbeitgeber dazu anregen, bereits jetzt proaktiv zu handeln. Dabei ist eine diskriminierungsfreie und transparente Vergütungspraxis nicht nur eine rechtliche Anforderung, sondern auch ein wichtiger unabdingbarer Schritt auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit in der Arbeitswelt.
Das Urteil des BAG unterstützt Teilzeitbeschäftigte und deren Gleichbehandlung gegenüber Vollzeitbeschäftigten. Es zeigt aber auch, dass Diskriminierung – sei sie direkt oder mittelbar – keinen Platz (mehr) im Arbeitsrecht hat. Arbeitgeber sollten die Entscheidung daher zum Anlass nehmen, bestehende Regelungen kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls auch anzupassen – noch bevor der erste Konflikt droht. Dies gilt nicht nur für tarifgebundene Bereiche, sondern ebenso für individuelle Arbeitsverträge, Betriebsvereinbarungen und die Ausgestaltung von Zusatzleistungen.
Im Hinblick auf die europäische Entgelttransparenzrichtlinie gewinnt diese Thematik zusätzliche Bedeutung: Die Richtlinie verpflichtet Arbeitgeber, Vergütungssysteme transparent und diskriminierungsfrei zu gestalten und dadurch zu einer Lohngleichheit für gleiche oder gleichwertige Arbeiten beizutragen. Insofern kann das Urteil des BAG auch als Wegweiser dienen, um die Anforderungen auf Arbeitgeberseite bereits frühzeitig umzusetzen und potenziellen rechtlichen Risiken präventiv entgegenzutreten.
Neben der rechtlichen Betrachtung fällt der Blick jedoch auch auf die Unternehmenskultur: Ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld fördert nicht nur die rechtliche Sicherheit, sondern stärkt auch das Vertrauen, das psychologische Sicherheitsempfinden sowie die Motivation der Beschäftigten. Arbeitgeber, die bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem sie noch nicht von Gesetzeswegen dazu verpflichtet sind, Gleichbehandlungsmaßnahmen ergreifen, positionieren sich nicht nur rechtlich auf der sicheren Seite, sondern unterstreichen auch den gesamtgesellschaftlichen Eigenanspruch als attraktive und verantwortungsbewusste Unternehmen.
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