Bei Start-ups ist die Anfangsphase typischerweise von hohen Verlusten geprägt – etwa aufgrund großer Investitionskosten und instabilen Einnahmen. Gerade deshalb sind Start-ups regelmäßig auf Kapitalgeber angewiesen und in den ersten Jahren häufig rechnerisch überschuldet.
Damit das Start-up nicht auch im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO überschuldet ist, bedarf es einer positiven Fortführungsprognose. Anderenfalls droht dem Geschäftsführer im Insolvenzfall die Haftung für trotz Überschuldung vorgenommener Zahlungen aus § 15b Abs. 1, 4 InsO.
Der Finanzierungsbedarf neu gegründeter Unternehmen ist gerade in den ersten Phasen, insbesondere der Seed- und Start-up Stage, besonders hoch. Das Start-up erwirtschaftet in der Frühphase, die letztlich der Umsetzung und Etablierung der neuen Geschäftsidee dient, zunächst ausschließlich Verluste. Der Erfolg des Start-up ist und bleibt auf Jahre hinaus von ausreichend Finanzierungszusagen von Seiten der Investoren, der Gesellschafter oder dritter Fremdkapitalgeber abhängig, um ein Unternehmenswachstum zu gewährleisten. Das kann auch Joint-Ventures betreffen, die gegründet werden, um z. B. in den Ausbau von Infrastruktur wie Energie-, Telekommunikations- oder Glasfasernetze zu investieren.
Das Start-up ist in seinen Entwicklungsphasen nicht ertragsfähig im Sinne einer Selbstfinanzierungskraft, sondern auf Außenfinanzierung angewiesen. Häufig erfolgen Zuzahlungen in das Eigenkapital oder (nachrangige) Gesellschafterdarlehen. Erst in der späteren Expansion oder Growth Stage findet ein Übergang zur Gewinnzone – Break-even – statt. Liquiditäts- und Cashflowsicherung gehören zu den ganz wesentlichen, das Start-up durch alle Phasen begleitenden Schwierigkeiten der Unternehmensgründung. Die Liquiditäts- und Kapitallage ist und bleibt per se herausfordernd. Besonders angespannt wird sie, wenn die Investoren oder Gesellschafter selbst in Zahlungsschwierigkeiten geraten.
Wegen ihres hohen, ständigen Finanzierungsbedarfs zeigen Start-ups häufig eine gefährliche Nähe zum Vorliegen von Insolvenzgründen. Sie segeln gewissermaßen „hart am Wind“. Gerade bei einem Start-up-Unternehmen ist daher eine kontinuierliche, intensive Prüfung der wirtschaftlichen Situation in besonderem Maße angezeigt. Ohne eine mindestens 12-monatige, vorausschauende Liquiditätsplanung geht es nicht!
Eine solche Krisenfrüherkennungspflicht der Geschäftsführung ist gesetzlich in § 1 StaRUG festgeschrieben. Neben der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) ist insbesondere eine etwaige Überschuldung der Gesellschaft zu überwachen. Denn Start-ups sind in den ersten Jahren in der Regel rechnerisch überschuldet und weisen allzu oft Fehlbeträge in ihren Bilanzen auf. Dabei erklären Fremdkapitalgeber regelmäßig keinen Rangrücktritt. Harte Patronatserklärungen, Verlustausgleichszusagen, Letter of Comforts oder Ergebnisabführungsverträge gibt es zumeist – und gerade vor dem Hintergrund des hohen Ausfallsrisikos – nicht. Überschuldungsbilanzen sind zudem zu Liquidationswerten aufzustellen – und oftmals negativ. Ob das Start-up auch im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO überschuldet ist oder nicht, hängt damit entscheidend von einer zu bejahenden positiven Fortführungsprognose ab.
Die Geschäftsführer einer GmbH haben ein elementares Interesse daran, die positive Fortführungsprognose zu überprüfen und hier für eine sauber dokumentierte, reliable Liquiditätsplanung zu sorgen. Denn sie sind dazu verpflichtet, binnen sechs Wochen einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn die Gesellschaft überschuldet wird (§ 15a Abs. 1 InsO). Die Überschuldung löst zugleich ein Zahlungsverbot aus (§ 15b Abs. 1 InsO). Für Zahlungen, die trotz dieses Verbots – vor allem nach Ablauf der Insolvenzantragspflicht – vorgenommen wurden, haften die Geschäftsführer im Insolvenzfalls dem Insolvenzverwalter gegenüber grundsätzlich persönlich (§ 15b Abs. 4 InsO). Der Eintritt der Überschuldung samt dem nachfolgenden Insolvenzverfahren birgt für Geschäftsführer daher ein persönliches Haftungsrisiko, wenn der Zahlungsverkehr unverändert aufrechterhalten bleibt. Umso wichtiger ist es, dass der Eintritt der Überschuldung früh- und rechtzeitig erkannt wird.
Nach § 19 Abs. 2 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt – es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Die Feststellung der Überschuldung erfolgt also zweistufig. Zum einen muss geprüft werden, ob die Gesellschaft nach Liquidationswerten rechnerisch überschuldet ist, d. h. ob die Verbindlichkeiten das Gesellschaftsvermögen übersteigen. Bei Ansatz von Liquidationswerten ist das regelmäßig der Fall. Zum anderen muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob für das Unternehmen in einem Zeitraum von 12 Monaten eine positive oder eine negative Fortführungsprognose besteht. Bei einer negativen Fortführungsprognose ist das Unternehmen überschuldet im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO. Ist die Fortführungsprognose hingegen positiv, liegt trotz der rechnerischen Überschuldung keine Insolvenzreife vor. Dies führt in der Praxis dazu, dass die Fortführungsprognose als erstes zu überprüfen ist. Für Geschäftsführer von Start-ups ist daher von besonderer Bedeutung, welche Anforderungen an eine positive Fortführungsprognose zu stellen sind: Sie müssen auf Basis ihres Unternehmenskonzepts bzw. Geschäftsplans eine Liquiditätsplanung aufstellen!
Die Fortführungsprognose ist positiv, wenn die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich, also größer als 50 %, ist. Nach der Rechtsprechung des BGH setzt eine positive Fortführungsprognose in subjektiver Hinsicht den Fortführungswillen des Schuldners bzw. seiner Organe und in objektiver Hinsicht die sich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept ergebende Lebensfähigkeit des Unternehmens voraus (BGH, Urt. v. 13.7.2021 – II ZR 84/20 = NZI 2021, 872 Rn. 68 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.8.2023 – 12 U 59/22 = NZI 2024, 76). Dem schlüssigen und realisierbaren Unternehmenskonzept muss dabei grundsätzlich ein Ertrags- und Finanzplan für die nächsten zwölf Monate zugrunde liegen, aus dem sich ergibt, dass die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig zur Unternehmensfortführung ausreicht. Das ist nichts anderes als eine Zahlungsfähigkeitsprognose, die wiederum eine saubere Liquiditätsplanung erfordert, in der sich Einnahmen und Ausgaben decken. Da es sich bei der Fortführungsprognose um eine mit Unsicherheiten verbundene Vorhersage handelt, ist dem Geschäftsführer zwangsläufig ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen. In seine Beurteilung darf und soll der Geschäftsführer alle Umstände einbeziehen, die ihm zu diesem Zeitpunkt bekannt waren; das Prinzip Hoffnung und „Luftschlösser“ reichen hingegen keineswegs.
Bei Start-ups stehen häufig ein oder mehrere Investoren bzw. Gesellschafter im Hintergrund, die der Gesellschaft in der Vergangenheit bereits Kapital zur Verfügung gestellt haben, sei es als ggfs. nachrangige Gesellschafterdarlehen oder als Zuzahlungen ins Eigenkapital. Sofern sich diese Kapitalreserven absehbar dem Ende nähern, gleichzeitig aber neue Investitionen anstehen, kommt es für den Geschäftsführer insbesondere darauf an, ob er weiterhin mit der Unterstützung durch seine Kapitalgeber rechnen darf.
Unproblematisch ist der Fall, dass die Gesellschafter bzw. Investoren bereits verbindlich neue finanzielle Engagements – sei es durch neue Darlehen, Equity-Einlagen oder harte Patronatserklärungen – zugesagt haben. Diese können so mit ihren Fälligkeiten in die Liquiditätsplanung eingestellt und den Ausgaben und Investitionstätigkeiten gegenübergestellt werden. Erhebliche Rechtsunsicherheiten bereitet der Fall, in dem der oder die Gesellschafter lediglich neue Kapitalspritzen in Aussicht gestellt haben, ohne sich bereits zu verpflichten (die sog. „weiche“ Patronatserklärung). In seiner Entscheidung aus 2021 hat der BGH entschieden, dass auch eine weiche Patronatserklärung ein Umstand ist, dem im Rahmen der Fortführungsprognose Bedeutung zukommen kann (BGH, Urt. v. 13.7.2021 – II ZR 84/20 = NZI 2021, 872 Rn. 77). Maßgeblich ist hier, ob mit der neuen Finanzierung durch den Investor insgesamt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden kann. Für Geschäftsführer von Start-ups folgt daraus, dass sie anhand aller Umstände beurteilen müssen, ob aufgrund der Finanzkraft des betreffenden Gesellschafters und dessen bisheriger Kommunikation eine erneute finanzielle Hilfe überwiegend wahrscheinlich ist, welche die Unternehmensfortführung mittelfristig sicherstellt.
Maßgeblich ist, dass das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage sein wird, seine im Prognosezeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten zu decken. Als Grundlage für diese Beurteilung ist eine nachvollziehbare, realistische Finanzplanung mit einem operativen Konzept zu verlangen, das die geplante Etablierung der Geschäftsidee des Start-ups erfolgsversprechend erscheinen lässt. Soweit Finanzierungsbeiträge eines Investors in der Beurteilung berücksichtigt werden sollen, setzt dies nach Ansicht des OLG Düsseldorf voraus, dass dem Investor entsprechende Planungen vorgelegt worden sind und dieser seine Finanzierungszusage hiervon abhängig gemacht hat. Bei Equity-Einlagen in Joint Ventures sieht der Joint-Venture-Vertrag oder das Shareholder’s Agreement häufig die Vorlage eines bestimmten Geschäftsplans von Seiten der Geschäftsführung des Start-ups voraus, in dem der Eigenkapitalbedarf hinreichend dargelegt ist.
Solange der Gesellschafter dieser mit ihm abgestimmten Planung nicht widerspricht, können die Kapitaleinzahlungen eingeplant werden. Befindet sich der Investor möglicherweise in Zahlungsschwierigkeiten, steht also seine Bonität und damit die Leistungsfähigkeit zur Debatte, ist zu überprüfen und zu beurteilen, ob er wie geplant auch in Zukunft seinen Einzahlungen nachkommen kann und wird. Zahlungseingänge in der Liquiditätsplanung müssen ebenfalls überwiegend wahrscheinlich sein. Entsprechende Kennzahlen und Nachweise sowie Commitments sind ggfs. einzuholen. Sinkt die Bonität dagegen in einen Bereich, in dem Zahlungsausfälle des Investors eher wahrscheinlich sind, muss die Liquiditätsplanung angepasst werden.
Befindet sich das Start-up jedoch bereits in der Krise und benötigt zur Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit dringend die Liquidität aus Zuzahlungen der Investoren, dann reicht nach der o.a. Rechtsprechung die Abstimmung der Geschäftsplanung auf Basis des Unternehmenskonzept regelmäßig nicht mehr aus. Vielmehr werden verbindliche Zahlungszusagen zur Deckung der sich auftuenden Liquiditätslücken wie abrufbare Darlehen oder ein hartes Patronat erforderlich. In jedem Fall sollte die mit Haftung bedrohte Geschäftsführung auf verbindliche Zahlungszusagen drängen sowie andernfalls die geplanten Investitionen aussetzen.
Für Geschäftsführer von Start-ups ist es – gerade in der verlustreichen Anfangsphase – wichtig zu wissen, dass eine rechnerische Überschuldung nicht unmittelbar zur Insolvenzreife führt, sondern dass vielmehr eine positive Fortbestehensprognose entscheidend ist. Dabei handelt es sich um eine Prognose über die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten. Sowohl nach dem BGH als auch nach dem OLG Düsseldorf müssen die Geschäftsführer – kontinuierlich – eine realistische, mindestens 12 Monate umfassende Liquiditätsplanung auf Basis eines aussagekräftigen Unternehmenskonzept aufstellen. Falls abrufbare Darlehen, zugesagte Equity-Einzahlungen oder ein hartes Patronat („Letter of Comfort“) existieren und der Anspruch vollwertig ist, können diese fest eingeplant werden.
In den Fällen, in denen sich der oder die Gesellschafter (noch) nicht zu einer weiteren Finanzierung verbindlich verpflichtet haben, ist es wichtig, eine überwiegend wahrscheinliche Finanzierung durch seine Investoren nachweisen zu können. Dafür sollte das Start-up von Anfang an eine nachvollziehbare Finanzplanung in enger Abstimmung mit den Gesellschaftern oder Investoren erstellen und die Maßgeblichkeit dieser Planung für die laufenden Finanzierungszusagen der Investoren dokumentieren. Erst wenn sich die Bonität der Investoren soweit verschlechtert hat, dass die weiche Zusage einer Kapitalzufuhr nicht mehr vollwertig ist, muss die Liquiditätsplanung angepasst werden.
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