Vernichtung von Neuware verstößt gegen abfallrechtliche Produktverantwortung

Christian Thomas

Das schnelle Wachstum von E-Commerce und Onlineshopping hat sich in den vergangenen Jahren auch im Umweltrecht ausgewirkt. So wurde mit der jüngsten Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) zur Umsetzung neuer Vorgaben der EU-Abfallrahmenrichtlinie im Oktober 2020 unter anderem die Produktverantwortung der Hersteller verschärft. Die darunterfallende Obhutspflicht wurde gerade auch als unmittelbare Reaktion auf die im Onlinehandel zunehmende Vernichtung retournierter Neuware durch Hersteller, Händler und Marktplatzbetreiber eingeführt. Parallel dazu haben auch die coronabedingten Lockdowns dazu beigetragen, dass große Mengen an Textilien im stationären Einzelhandel nicht verkauft und stattdessen entsorgt wurden. Am Beispiel des aktuell aufgedeckten Falls des Sportartikelherstellers Nike, der Recherchen zufolge unbeschädigte Neuware schreddern soll (vgl. Tagesschau, Die Zeit), sollen die abfallrechtlichen Rahmenbedingungen und Pflichten kurz skizziert werden.

Der aktuelle Fall

Aktuelle journalistische Recherchen haben ergeben, dass Nike u. a. unbeschädigte retournierte Sportschuhe in einer belgischen Recyclinganlage zerstört und das Material anschließend zu Sportplatzbelägen verarbeitet. Dies geschieht offiziell im Rahmen eines vermeintlich nachhaltigen Recyclingprogramms des Sportartikelherstellers. Nike selbst räumt ein, mit Retouren, die Anzeichen einer möglichen Beschädigung oder Gebrauchsspuren aufweisen, so zu verfahren. Es gibt darüber hinaus aber auch Hinweise darauf, dass Nike in entsprechender Art und Weise auch mit unbeschädigter Neuware verfährt. Sollte sich dieser (vom Hersteller bestrittene) Vorwurf bestätigen, läge darin ein Verstoß gegen die – bereits im Unionsrecht verankerte und in nationales Recht transferierte – Abfallhierarchie, die ein elementares Prinzip der Kreislaufwirtschaft darstellt, sowie eine Verletzung der stärker in den Fokus rückenden Produktverantwortung. Nach der fünfstufigen Abfallhierarchie hat die Abfallvermeidung oberste Priorität und Vorrang vor allen anderen Entsorgungsmaßnahmen wie etwa der stofflichen Verwertung.

Abfallrechtliche Produktverantwortung und Obhutspflicht

Mit der Novelle des KrWG aus Oktober 2020 ging eine erhebliche Stärkung und Verschärfung der Produktverantwortung einher. Danach sollen die Hersteller von Produkten in stärkerem Maße für die Entsorgung ihrer Produkte verantwortlich sein, wenn diese zu Abfall werden. Die Produktverantwortung umfasst nach § 23 Abs. 2 Nr. 11 KrWG unter anderem die sog. Obhutspflicht hinsichtlich der vertriebenen Erzeugnisse.

Dabei schreibt § 23 Abs. 1 Satz 3 KrWG vor, dass derjenige, der Erzeugnisse entwickelt, herstellt, be- oder verarbeitet oder vertreibt, zur Erfüllung der Ziele der Kreislaufwirtschaft die Produktverantwortung trägt. Produkte sind möglichst so zu gestalten, dass bei ihrer Herstellung und ihrem Gebrauch das Entstehen von Abfällen vermindert wird und sichergestellt ist, dass die nach ihrem Gebrauch entstandenen Abfälle umweltverträglich verwertet oder beseitigt werden. Es geht um die Pflicht, beim Vertrieb der Erzeugnisse – auch im Zusammenhang mit deren Rücknahme oder Rückgabe – dafür zu sorgen, dass die Gebrauchstauglichkeit der Erzeugnisse erhalten bleibt und diese nicht zu Abfall werden. Hierfür sind betriebliche und organisatorische Vorkehrungen zu treffen. Erst wenn die ursprüngliche Zweckbestimmung eines Erzeugnisses nicht mehr aufrechterhalten werden kann, kommen auch andere Verwendungszwecke in Betracht. Nur wenn auch dies technisch oder rechtlich nicht mehr möglich oder wirtschaftlich nicht mehr zumutbar ist – und hieran sind hohe Hürden zu stellen –, kommt schließlich die Verwertung nach der Abfallhierarchie (mithin Recycling) in Betracht (sog. „Nutzungskaskade“).

Festzuhalten ist, dass die Obhutspflicht – ebenso wie die Produktverantwortung – bislang nur in Grundzügen, mithin als sog. latente Grundpflicht, im KrWG angelegt ist. Das heißt, sie soll zwar das Verhalten der Verantwortlichen beeinflussen. Rechtlich durchsetzbare Pflichten bestehen derzeit insoweit aber noch (!) nicht. Diese sollen erst in Rechtsverordnungen festgeschrieben werden. Insofern wurden Verordnungsermächtigungen im Kreislaufwirtschaftsgesetz verankert. § 24 Nr. 10 KrWG bildet die Verordnungsermächtigung dafür, dass die Obhutspflicht nach § 23 Abs.1 Satz 3 iVm § 23 Abs. 2 Nr. 11 KrWG umgesetzt werden kann. Die Verordnung kann gemäß der Vorgabe des § 23 Abs. 3 KrWG den konkret Verpflichteten und die konkreten Verhaltenspflichten bestimmen. Zudem sollten Hersteller und Vertreiber unter anderem verpflichtet werden können, zur Gewährleistung einer angemessenen Transparenz für bestimmte, unter die Obhutspflicht fallende Erzeugnisse, einen Bericht zu erstellen. Dieser hat die Verwendung der Erzeugnisse, insbesondere deren Art, Menge, Verbleib und Entsorgung, sowie die getroffenen und geplanten Maßnahmen zur Umsetzung der Obhutspflicht zu enthalten. Dabei kann auch bestimmt werden, ob und in welcher Weise der Bericht durch Dritte zu überprüfen, der zuständigen Behörde vorzulegen oder in geeigneter Weise zu veröffentlichen ist (§ 25 Abs. 1 Nr. 9 KrWG).

Tatsächlich fehlt eine entsprechende Verordnung aber bislang. Entsprechend gibt es derzeit keine konkret aus der Obhutspflicht resultierenden Rechtspflichten. Der aktuelle Fall von Nike, der ein praktisch bekanntes Problem erneut deutlich zu Tage bringt und sicherlich kein Einzelfall ist, verdeutlicht den dringenden Bedarf, die durch Einführung der Obhutspflicht gestärkte Produktverantwortung mit konkreten Maßnahmen bzw. Pflichten zu versehen. Es steht zu erwarten, dass der Verordnungsgeber sich der Aufgabe annehmen wird, der Produktverantwortung und der Obhutspflicht des Herstellers von Erzeugnissen mehr Gewicht zu geben. Wann mit einer „Scharfschaltung“ der Obhutspflicht gerechnet werden kann, ist jedoch nicht bekannt.

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