Neue Urlaubsrechtsprechung des EuGH – Kein automatischer Verfall von Urlaubsansprüchen zum Jahresende

Neue Urlaubsrechtsprechung des EuGH – Kein automatischer Verfall von Urlaubsansprüchen zum Jahresende

EuGH Urteile vom 6. November 2018 – C-619/16 und C-684/16
Ein automatischer Verfall nicht beantragter Urlaubsansprüche zum Jahresende ist europarechtswidrig. Dies hat der EuGH in zwei Vorabentscheidungsverfahren am 6. November 2018 entschieden.

Die Fälle

Dem EuGH lagen zwei Vorlagefragen deutscher Gerichte zu den Verfallregeln des deutschen Urlaubsrechts vor. In beiden Streitfragen ging es um Ansprüche auf Urlaubsabgeltung.

Der ersten Rechtssache (C-619/16) lag ein Vorabentscheidungsbeschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (OVG, Beschluss vom 14. September 2016 – 4 B 38.14) zugrunde. Geklagt hatte ein befristet tätiger Referendar, der beim Land Berlin im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses seinen juristischen Vorbereitungsdienst absolviert hatte. Nach Beendigung des Vorbereitungsdienstes beantragte er eine finanzielle Abgeltung für nicht genommene Resturlaubstage. Das Land Berlin lehnte den Antrag ab mit der Begründung, dass der Kläger nicht gehindert gewesen sei, Erholungsurlaub in Anspruch zu nehmen. Der Referendar klagte gegen diese Ablehnung vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nachdem das Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 3. Mai 2013 – 5 K 158.119) die Klage als unbegründet abgewiesen hatte, legte das OVG Berlin-Brandenburg dem EuGH die Frage des Urlaubsverfalls bzw. der Urlaubsabgeltung vor.

Der zweiten Rechtssache (C-684/16) lag ein Vorabentscheidungsbeschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Beschluss vom 13. Dezember 2016 – 9 AZR 541/15 (A)) zugrunde. Der Kläger war über zehn Jahre aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge bei der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften beschäftigt. Etwa zwei Monate vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses forderte die Max-Planck-Gesellschaft ihn auf, seinen Resturlaub zu nehmen, ohne jedoch Urlaubstage von sich aus einseitig und für den Kläger verbindlich festzulegen. Der Kläger nahm nur zwei Urlaubstage und beantragte die Zahlung einer finanziellen Abgeltung für nicht genommene 51 Resturlaubstage. Dies lehnte die Max-Planck-Gesellschaft ab. Der Kläger klagte daraufhin vor der Arbeitsgerichtsbarkeit. Das Arbeitsgericht München (Urteil vom 13. November 2014 – 13 Ca 7172/14) und das Landesarbeitsgericht München (Urteil vom 6. Mai 2015 – 8 Sa 982/14) gaben dem Kläger Recht. Das BAG legte den Fall dem EuGH vor.

Die Entscheidungen

In seinen Entscheidungen vom 6. November 2018 befand der EuGH, dass ein automatischer Verfall von Urlaubsansprüchen zum Jahresende gegen vorrangiges Europarecht verstoße. Das Unionsrecht lasse es nicht zu, dass Arbeitnehmer die ihnen gemäß dem Unionsrecht zustehenden Urlaubstage allein deshalb verlieren, weil sie vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. vor Ablauf des Kalenderjahres keinen Urlaub beantragt haben. Auch der Verlust eines Anspruchs auf Urlaubsabgeltung für nicht genommenen Urlaub allein aufgrund eines unterlassenen Urlaubsantrags sei mit dem Europarecht unvereinbar. Dies gelte unabhängig davon, ob es sich um einen öffentlichen Arbeitgeber oder einen privaten Arbeitgeber handele, so der EuGH.

Der EuGH macht allerdings eine wichtige Einschränkung. Ansprüche auf Urlaub bzw. auf Urlaubsabgeltung können dann untergehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt hat, die Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen. Die Beweislast hierfür sieht der EuGH allerdings beim Arbeitgeber.

Bewertung

Nach dem deutschen Urlaubsrecht galt bislang das Grundprinzip, dass Urlaub im laufenden Kalenderjahr genommen werden muss (§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG). Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr erfolgte nur ausnahmsweise, nämlich wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigten (§ 7 Abs. 3 S. 2 BurlG). Diese Regelungen verhinderten ein Ansammeln von Urlaubsansprüchen über längere Zeiträume und ermöglichten Arbeitgebern eine verlässliche Wirtschaftsplanung, da Urlaubsrückstellungen für das laufende Jahr grundsätzlich zum Jahrsende aufgelöst werden konnten.

Damit ist nun Schluss!

Zukünftig gilt, dass Urlaubsansprüche nicht mehr automatisch zum Jahresende verfallen, selbst wenn Arbeitnehmer im laufenden Kalenderjahr überhaupt keinen Urlaub beantragt haben. Der Urlaub verfällt nur, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen und der Arbeitnehmer freiwillig und in voller Kenntnis der Sachlage auf die Inanspruchnahme seines bezahlten Jahresurlaubs verzichtet hat.

Die finalen Entscheidungen der konkreten Fälle müssen nun die vorlegenden deutschen Gerichte im Einklang mit den Urteilen des EuGH treffen. Dabei wird sich zeigen, wie die Gerichte mit Folgefragen umgehen werden, hier insbesondere mit der Frage des Umfangs der Informationspflicht des Arbeitgebers und der Frage, ab wann die Ausübung des Urlaubsanspruchs vom Arbeitgeber nicht mehr ermöglicht wurde.

Handlungsempfehlung

Als Konsequenz aus den Urteilen des EuGH sollten Arbeitgeber zukünftig alle Arbeitnehmer

mit großzügigem zeitlichem Vorlauf vor Jahresende beweisbar auffordern, ihren Resturlaub zu nehmen und
sie gleichzeitig auf den Verfall noch bestehender Urlaubsansprüche zum Jahresende hinweisen.

Des Weiteren ist zu empfehlen, in Arbeitsverträgen bzw. Betriebsvereinbarungen zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub (20 Urlaubstage bei einer 5-Tage-Woche) und dem freiwillig darüber hinaus gewährtem Mehrurlaub zu differenzieren. Denn zwingend gilt die Rechtsprechung des EuGH nur für den gesetzlichen Mindesturlaub. Im Arbeitsvertrag oder in einem Tarifvertrag kann daher geregelt werden, dass der freiwillig gewährte Mehrurlaub gleichwohl am Jahresende verfällt. Zudem kann genommener Urlaub durch eine entsprechende Tilgungsbestimmung zunächst auf den gesetzlichen Urlaub angerechnet werden. Sollten am Jahresende dann noch Resturlaubstage übrig sein, wird dies bei den meisten Arbeitnehmern nur den vertraglichen Mehrurlaub betreffen. Auf diese Weise können Arbeitgeber finanzielle Risiken effektiv begrenzen.

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