Arbeiten bis 70 oder mehr – und das freiwillig?

Der Ausgangspunkt der gerade wieder aufkommenden Diskussion ist bekannt: Der demographische Wandel. Es überrascht heute keinen mehr, dass die Menschen immer älter wird. Hinzu kommt, dass die Zahl der Geburten lange Zeit rückläufig war. Die Folge: Noch weniger Geburten, denn wo keine Eltern sind, die Kinder zeugen könnten, werden keine Kinder geboren. Die Entwicklung ist also fürs Erste absehbar: Unser Straßenbild wird sich in Zukunft deutlich verändern und einer hohen Zahl von älteren Menschen eine geringe Zahl von jüngeren Menschen gegenüberstehen.

Diese Entwicklung setzt sich möglicherweise nicht für alle Ewigkeit fort, denn die sogenannten „geburtenarmen“ Jahrgänge werden eines Tages zu „rentnerarmen“ Jahrgängen und tatsächlich ist die Geburtenrate zuletzt mehrfach gestiegen.

Gelingt es uns zusätzlich, den sich aus der massiven Zuwanderung ergebenden Integrationsauftrag erfolgreich umzusetzen, könnten sich auch hieraus günstige Effekte ergeben, die dieser Entwicklung entgegenwirken oder sie zumindest abschwächen. Ob wir, liebe Leserinnen und Leser, einen solchen Umschwung noch miterleben, ist ungewiss.

Zunächst sind die aus der demographischen Verschiebung resultierenden Probleme Realität: Einer immer höheren Anzahl von Rentner, die nach langen Jahren der Berufstätigkeit einen berechtigten Anspruch auf eine existenzsichernde Altersversorgung haben, steht eine immer geringere Zahl von Erwerbstätigen gegenüber, die die finanziellen Mittel für diese Altersversorgung verdienen.

Die derzeit diskutierten Lösungsansätze sind vielfältig.Ein erster Schritt wurde bereits mit der stufenweisen Erhöhung des Renteneintrittsalters zuletzt 2012 von 65 auf 67 Jahre bis 2029 gemacht. Viele von Ihnen werden sich daher bereits mit einem späteren Renteneintrittsalter anfreunden müssen, als bei Ihrem Eintritt in das Berufsleben vorgesehen. Andere werden, wie ich, diese Entwicklung sowie die neusten Ankündigung aus der Politik mit Argwohn betrachten.

Denn es ist längst nicht gesagt, dass es mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 getan ist. Im Gegenteil, nach einer Studies des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) muss das Renteneintrittsalter, um eine existenzsichernde Rente auch in Zukunft zu sichern, weiter steigen, bis 2030 auf 69 Jahre und bis 2035 auf 71 Jahre. Die „gute“ Nachricht lautet, ab 2041 könne das Renteneintrittsalter konstant bei 73 (!) Jahren bleiben. Und tatsächlich wird eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters bereits in Betracht gezogen. Der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble schlägt vor, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Steigt diese im Durchschnitt, wird also automatisch auch die Regelaltersgrenze im Sinne eines dynamischen Konnexes hochgesetzt. Der Haken liegt auf der Hand: Wer einer vorwiegend geistigen Tätigkeit nachgeht, kann im Idealfall seinen Beruf bis ins hohe Alter ausüben.

Gleichwohl werden auch diese Berufstätigen mit einem natürlichen Leis-tungsabfall im Alter rechnen müssen, der sich allein durch die bestehende Berufserfahrung nicht ausgleichen lässt. Und was ist mit den Arbeitnehmern, die einer physisch oder psychisch sehr belastenden Erwerbstätigkeit nachgehen oder erheblichen Ver-schleißerscheinungen ausgesetzt sind?

Sollen diese dann auch bis 70 oder gar länger arbeiten und anderenfalls Abschläge bei der Altersversorgung hinnehmen müssen? Eine pauschale Anknüpfung des Renteneintrittsalters an die steigende Lebenser-wartung lässt die unterschiedlichen Belastungen in der Arbeitswelt zu sehr außer Acht um eine geeignete Lösung zu sein.

Der Umstand, dass bei der derzeitigen Entwicklung immer weni-ger Erwerbstätige die Altersversorgung für immer mehr Rentner erarbeiten müssen, ist eine Folge unseres umlagefinanzierten Rentensystems: Die Rentenversicherungsbeiträge werden nicht für die eigene Rente verwendet, sondern zur Finanzierung der aktuell zu zahlenden Renten. Man verdient also nicht seine eigene Rente, sondern nur einen Rentenanspruch, der von den nach-folgenden Generationen bedient werden muss. Der Vorschlag hessischer Politiker von CDU und Grünen aus Dezember 2015 zur Einführung einer zusätzlichen staatsverwalteten Privatrente – einer sogenannten „Deutschland-Rente“ – um Altersarmut vorzubeugen, ist daher gar nicht fernliegend. Bedenken ergeben sich aber, wenn man etwa an das wenig erfolgreiche Konzept der Riester-Rente denkt.

Auch wird man ein gewisses Misstrauen der Bevölkerung sowie Angst vor politischem Zugriff angesichts der angedachten staatlichen Verwaltung und vergangener Geschehnisse nicht verhindern können. Und schließlich stellt sich auch in diesem Zusammenhang wieder ein Problem: Das Risiko der Altersarmut betrifft vor allem Geringverdiener die sich eine zusätzliche Altersversorgung schon zu Erwerbszeiten nicht leisten können.

So richtig der Gedanke an eine zusätzliche, ggf. privat finanzierte Altersversorgung also ist, stellt sich die Frage, ob hier-durch das Problem tatsächlich gelöst werden kann.

Die große Koalition verfolgt einen insgesamt milderen Ansatz. Arbeitnehmern und Arbeitgebern sollen danach Anreize für eine freiwillige Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch über das Renteneintrittsalter hinaus gegeben werden. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde bereits mit dem Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 23. Juni 2014 und der damit einhergehenden Einführung von § 41 Satz 3 SGB VI gemacht.

Danach können die Arbeitsvertragsparteien, sofern der Arbeitsvertrag die übliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen des Renteneintrittsalters vorsieht, durch eine noch während des Arbeitsverhältnisses zu treffende Vereinbarung den Beendigungszeitpunkt über das Renteneintrittsalter hinausschieben, dies gegebenenfalls auch mehrfach.

Eine Fortsetzung von Arbeitsver-hältnissen über das Renteneintrittsalter hinaus war auch zuvor zulässig, wegen des eingreifenden Bestandsschutzes aber kaum möglich. Hätte der Arbeitgeber auf das Eingreifen der Befristung auf den Renteneintritt verzichtet, würde der unter Umständen über lange Jahre erdiente Bestandsschutz (Betriebszugehörig-keit) eine spätere Kündigung erheblich erschweren. Der Vereinbarung einer befristen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderte aber einen Sachgrund im Sinne des § 14 TzBfG der nach der Rechtsprechung des BAG jedenfalls nicht im Erreichen des Renteneintrittsalters liegt. § 41 Satz 3 SGB VI vermindert also den Bestandsschutz, um so einen Anreiz für die Fortsetzung von Arbeitsverhältnissen über den Renteneintritt hinaus zu setzen.

Gegen diese Vorschrift werden viele europarechtliche Bedenken erhoben, es spricht jedoch vieles dafür, dass eine Verschiebung vom arbeitsrechtlichen Bestandsschutz in Richtung eines Willkürschutzes bei Rentnerarbeitsverhältnissen auch europarechtlich zulässig ist. Gänzlich geklärt ist dies aber wohl nicht.Aufbauend auf diesem Grundstein für einen flexiblen Verbleib im Erwerbsleben kündigte die Arbeitsgruppe der großen Koalition am 11. Mai 2016 noch für das Jahr 2016 eine „kleine Rentenreform“ an. Ein entsprechender Gesetzesentwurf zur sogenannten „Flexi-Rente“ soll sogar noch vor der anstehenden Sommerpause auf den Weg gebracht werden. Bereits im November 2015 hatte die Koalitionsgruppe einen Abschlussbericht zu diesem Thema vorgelegt.

Um einen längeren Verbleib im Erwerbsleben für Arbeitnehmer attraktiver zu gestalten, wird darin z.B. vorgeschlagen, die Teilrente und die ent-sprechenden Hinzuverdienstgrenzen zu flexibilisieren sowie den Hinzuverdienst bis zur Regelaltersrente – anders als bisher – der Rentenversicherungspflicht zu unterwerfen. Hierdurch könnten Abschläge für den vorzeitigen Teilrentenbeginn durch weitere Teilzeit-Erwerbstätigkeit ausgebessert werden. Zudem soll das Prinzip „Vorrang von Prävention und Reha vor Rente“ festgeschrieben werden, um einen längeren Verbleib im Erwerbsleben auch tatsächlich zu ermöglichen.

Anreize für das Weiterarbeiten nach dem Erreichen der Regelaltersrente sollen sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber im Zusammenhang mit Beitragspflichten entstehen. Derzeit zahlen Arbeitgeber bei der Beschäftigung von Rentnern den Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Rentenversicherung, dem betreffenden Arbeitnehmer erwächst hieraus aber kein renten-rechtlicher Vorteil mehr, da diese Beiträge sich auf seine Rente nicht mehr erhöhend auswirken. Künftig sei daher eine „Aktivierung“ der Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung zugunsten der weiterarbeitenden Rentner denkbar. Ähnliches gilt für die Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung: Diese werden bei der Rentnerbeschäftigung ebenfalls gezahlt, ohne dass hier-aus eine Leistung entstehen würde. Angedacht ist daher die (be-fristete) Abschaffung dieser Beitragspflicht.

Auch wenn der Ansatz der großen Koalition, Arbeitnehmern und Arbeitgebern einen Anreiz zur freiwilligen Fortsetzung von Arbeitsverhältnissen auch über das Renteneintrittsalter hinaus zu setzen, keine umfassende Lösung für die sich für die Zukunft abzeichnenden Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Rentenversicherung darstellt, halte ich dies für begrüßenswert.

Mit 67 Jahren ist bei vielen noch lange nicht Schluss und es wäre schade, das Wissen und die Erfahrung der langjährig Beschäf-tigten, die weiter am Erwerbsleben teilhaben möchten, nicht verwerten zu können.

Wer freiwillig länger arbeiten kann und möchte, sollte dies tun und so einen Beitrag zur Dämpfung der Finanzierungsprobleme leisten. Abzuwarten bleibt nun, ob es der Arbeitsgruppe der großen Koalition in der verbleibenden Zeit bis zur Sommerpause tatsächlich noch gelingt, einen Gesetzesentwurf vorzulegen.

Begrüßenswert wäre dies allemal, es bleibt aber zu hoffen, dass ein entsprechender Entwurf gut durchdacht und sorgfältig ausgearbeitet ist.

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